Du stehst unter Zeitdruck, musst mehrere Aufgaben gleichzeitig lösen und alles ist irgendwie zu viel? Da kann es schon mal passieren, dass du den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst. Dass du nur noch Probleme siehst und keine Lösungen. In stressigen Phasen verengt sich deine Wahrnehmung. Du bekommst einen Tunnelblick. In deinem Kopf spielen sich Katastrophen-Szenarien ab. Es gibt nur noch schwarz und weiß. Woher kommt dieser Tunnelblick? Warum malst du immer so schwarz? Und wie gehst du am besten damit um? Das alles erfährst du in diesem Artikel.
Was machen Stress und ungelöste Probleme mit dir?
Wenn du tiefenentspannt bist oder gerade keine Probleme hast, musst du dir um den Tunnelblick keine Sorgen machen. Der taucht vor allem dann auf, wenn du im Stress bist oder Probleme hast. Wenn du nächste Woche auf der Arbeit eine wichtige Präsentation halten musst und das Lampenfieber dir die Kehle zuschnürt oder wenn ein Projekt nicht so läuft, das du leitest. Oder wenn du dich mit einer Freundin gestritten hast und du einfach nicht auf einen grünen Nenner mit ihr kommst. Oder wenn gar ein Familienmitglied eine Krebsdiagnose bekommt und du dich vollkommen hilflos fühlst.
Stress beginnt da, wo du dich einer Situation ausgeliefert fühlst. Wo du das Gefühl hast, deine Aufgaben und Probleme nicht mehr in den Griff zu bekommen. Dann schießen Adrenalin und Cortisol durch deinen Körper und dein Stress sorgt dafür, dass du dich „fokussierst“.
Das ist erstmal nichts Schlechtes und völlig natürlich. Denk nur mal an unsere Vorfahren, die noch als Jäger und Sammler gelebt haben. Wenn plötzlich eine Säbelzahnkatze vor dir steht, bist du mehr als dankbar für deinen Tunnelblick. Denn er sorgt dafür, dass sich deine Wahrnehmung fokussiert und du so schnell wie möglich handelst. Das Drumherum spielt in diesem Moment keine Rolle. Dein Gehirn blendet es komplett aus. Die einzige Frage, um die du dich kümmern musst, ist „fight or flight“ – Kampf oder Flucht.
Es ist also kein Wunder, dass du in stressigen Phasen schwarzmalst und nur noch Probleme siehst.
In deinem Gehirn läuft immer noch ein Programm aus der Urzeit ab. Wenn du mit einem Problem konfrontiert wirst, reagierst du mit dem gleichen Mechanismus wie deine Vorfahren, die einer Säbelzahnkatze begegneten. Fokussieren. Tunnelblick. Alles andere ausblenden.
Heute sieht das Ganze aber natürlich etwas anders aus. Du wirst in deinem Leben nie von Angesicht zu Angesicht einer Säbelzahnkatze gegenüberstehen. Überhaupt sind lebensbedrohliche Situationen in unserer modernen Zeit eher selten. Schnelllebigkeit und Leistungsdenken haben die Raubtiere in ihrer Funktion als Bedrohung und Stressfaktor allerdings erstaunlich gut abgelöst. Genauso wie unser aller Leben so komplex und vielschichtig geworden ist, dass wir permanent vor Herausforderungen und Problemen stehen, von denen wir noch keinen blassen Schimmer haben, wie wir sie angehen und lösen sollen.
Permanenter Stress heißt auch permanenter Tunnelblick. Das bedeutet nichts anderes, als dass dein Blick für Lösungsoptionen und alternative Wege eng wird.
Wenn der Tunnelblick und die daraus resultierenden Denkfehler dir das Leben schwer machen
Als wäre der Tunnelblick nicht herausfordernd genug, bringt er häufig noch Denkfehler mit auf die Party. Das sind gedankliche Muster, sozusagen Filter für deine Realität, die die Tatsachen verzerren und dir das Leben schwer machen. Meistens neigen wir Menschen dazu, unsere Realität ins Negative zu verzerren und erstmal vom Schlechten auszugehen. Mit dem Tunnelblick gehen vor allem das Schwarz-Weiß-Denken und das Katastrophendenken einher.
Schwarz-Weiß-Denken
Wenn deine Wahrnehmung stressbedingt verengt ist und du mit Scheuklappen durchs Leben gehst, denkst du vermehrt in Extremen. Es gibt nur noch gut oder schlecht. Schwarz oder weiß.
Wenn deine Präsentation nicht zu 100% perfekt läuft, hast du versagt. Ein Anschiss vom Chef wegen des Projekts lässt dich an deiner gesamten Eignung zweifeln. Mit deiner Freundin wirst du dich nie vertragen, wenn du nicht den einen perfekten Satz findest, den du zu ihr sagen kannst.
Beim Schwarz-Weiß-Denken hast du das Gefühl, du müsstest die EINE richtige Lösung, den EINEN richtigen Weg finden. Das ist natürlich nicht realistisch, denn wie man so schön sagt: Viele Wege führen nach Rom.
Tatsächlich gibt es in den meisten Fällen hunderte Möglichkeiten, ein Problem zu lösen. Manche sind Abkürzungen, andere vielleicht ein Umweg. Aber definitiv wird es mehr als einen Weg geben.
Katastrophendenken
Stell dir vor, du bist mit einem Kollegen, der dir bei deiner Präsentation helfen will, in der Kantine verabredet. Du stehst unter Strom, denn die Präsentation ist morgen. Aber er erscheint nicht. Schaltet dein Gehirn auf Katastrophenmodus, malst du dir die schlimmsten Szenarien aus, die mit der Realität oft wenig bis nichts zu tun haben.
- Dein Kollege kommt nicht, weil er dich und deine Nöte nicht ernst nimmt.
- Er kann dich in Wirklichkeit gar nicht leiden und freut sich, wenn du dich morgen blamierst.
- Er hatte einen Autounfall und liegt gerade auf dem OP-Tisch.
Dieser Denkfehler ist völlig menschlich und passiert wohl jedem von uns ab und zu. Bei nüchterner Betrachtung haben derartige Gedanken aber überhaupt keine Berechtigung mehr, denn sie basieren auf reiner Fantasie. Es gibt unzählige wahrscheinlichere Möglichkeiten, warum dein Kollege nicht auftaucht.
- Er verspätet sich ein paar Minuten.
- Er ist vorübergehend krankgeschrieben.
- Er sitzt in einem Meeting fest.
- Er steckt bis über beide Ohren in Arbeit und hatte noch keine Zeit.
- Er hat es schlicht vergessen – und das hat gar nichts mit dir oder eurer Beziehung zu tun.
Ich bin mir sicher, dass du zahlreiche Beispiele wie dieses hier kennst. Katastrophengedanken, die bei dir auftauchen, wenn du mit einem riesigen Problem konfrontiert oder im totalen Stress bist. Gedanken, mit denen du aus der Mücke einen Elefanten machst.
Schluss mit dem Tunnelblick: Was kannst du tun?
Wenn du im Tunnelblick-Modus bist, verlierst du den Überblick und nimmst nur noch einen sehr kleinen Bereich der Realität wahr. Du verlierst dich in Details, bekommst kaum noch mit, was um dich herum geschieht. Und du siehst Lösungen nicht, die direkt vor deiner Nase liegen.
Bist du über einen längeren Zeitraum von dieser eingeschränkten Wahrnehmung betroffen, kann das ernste negative Konsequenzen mit sich bringen. Du verlierst deine Motivation, bist permanent gestresst und fühlst dich hilflos. Depressive Menschen kennen das leider nur zu gut…
Glücklicherweise gibt es mehrere Möglichkeiten, mit denen du deinen Blick weiten und Kontrolle über deine Situation zurückgewinnen kannst. So dass du nicht mehr länger nur Probleme, sondern Lösungen siehst. Nicht länger alles schwarz malst.
1. Betrachte die Situation aus einer neuen Perspektive
Antoine de Saint-Exupéry sagte: „Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.“ In diesem Zitat steckt eine ganz wichtige Erkenntnis. Mit dem Tunnelblick nimmst du Dinge nicht mehr wahr, die für andere selbstverständlich sind. Ein Perspektivwechsel kann deshalb Wunder wirken, wenn du im Stressmodus bist.
Das geht so: Versetze dich in die Position eines Menschen in deinem Umfeld, der den nötigen Weitblick hat und wie ein Mentor für dich wirken kann. Das kann ein Kollege, dein Chef, ein Familienmitglied oder irgendein Bekannter sein. Stelle dir selbst folgende Fragen:
- Was würde dieser Mensch machen, um konstruktiv mit der Situation umzugehen?
- Wie würde er die Situation beschreiben?
- Was habe ich bisher vielleicht übersehen, was dieser Mensch klar vor Augen hätte?
Noch einfacher ist es, wenn du tatsächlich mit dieser Person sprichst. Dafür sollte sie dir wohlgesonnen sein, aber im Gespräch nicht immer bedingungslos zustimmen. Wenn du beispielsweise wegen deiner Präsentation aus Angst vor einem Blackout schon völlig die Nerven verloren hast, kann sie dich daran erinnern, dass du Karteikarten vorbereiten und benutzen darfst oder deine Notizen in der Referentenansicht während der Präsentation siehst. Hast du dich beim Streit mit deiner Freundin in einer Kleinigkeit verrannt, kann sie dich ermutigen, die Situation auch mal aus deren Perspektive zu betrachten oder dir einen konkreten Tipp geben, was du sagen kannst.
2. Wechsel die Umgebung
Auch ein Wechsel der Umgebung kann dir beim Tunnelblick helfen. Wenn du etwas Neues wahrnehmen, neue Ideen und Lösungen finden willst, geh an einen anderen Ort.
Du sitzt seit Stunden an deinem Computer und bereitest deine Präsentation vor?
Geh eine Runde spazieren, setz dich eine Weile in ein Café oder besuche einen Freund. Bring dich für eine gewisse Zeit auf andere Gedanken. Wenn du wieder an die Arbeit gehst, wirst du die Präsentation wahrscheinlich schon mit anderen Augen sehen. Im besten Fall weitet sich schon allein dadurch dein Blick, du kommst auf neue Ideen oder bist offener für Vorschläge von außen.
3. Spiele das (realistische) Worst-Case-Szenario durch
Um dein Katastrophendenken zu zügeln, kannst du dir im Vorfeld der Situation überlegen, was schlimmstenfalls passieren könnte. Und diese Situation bis ins kleinste Detail durchspielen.
Es gibt zwei Gründe, wieso das hilft.
Verlierst du dich in deinen apokalyptischen Fantasien und treibst sie auf die Spitze, wirst du irgendwann gar nicht anders können als über dich schmunzeln. Außerdem bereitest du dich ganz konkret auf mögliche Hindernisse und Probleme vor. Das hilft dir, zuversichtlicher auf die kommende Situation zu blicken.
Damit du den Gedanken dahinter verstehst, führe ich das Ganze am Beispiel der furchterregenden Präsentation durch. Das Schlimmste, was realistisch passieren könnte ist, dass du einen Blackout hast und nicht mehr weißt, was du sagen sollst. Du stockst. Es wird für einen Moment ruhig – und dann? Vielleicht hilft dir ein Kollege, indem er dich daran erinnert, wo du gerade warst. Oder dir fällt nach ein paar Sekunden von selbst wieder ein, was du sagen wolltest.
Und wenn nicht? Was ist das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst? Du stehst stocksteif da, dein Herz pocht. Deine Kollegen fangen an zu lachen und zeigen mit dem Finger auf dich. Wie geht es weiter? Sie rufen dir beleidigende Sprüche zu. Dir schießen Tränen in die Augen. Dein Chef ist stinksauer, weil du die Präsentation versaut hast. Er macht dich vor versammelter Mannschaft zur Schnecke und wirft dich aus der Firma. Niedergeschlagen und ohne Job kommst du nach Hause. Und dein Partner verlässt dich auf der Stelle, weil er mit einem Versager wie dir nichts zu tun haben will. Vollkommen realistisch, oder?
Wenn du deine Katastrophenfantasien wie in meinem Beispiel immer weiterspinnst und ins Absurde steigerst, wirst du dich früher oder später selbst nicht mehr ernst nehmen können. Du löst dich emotional von deinen übertriebenen Befürchtungen und beruhigst dich.
Mit einem kühlen Kopf kannst du dich dann realistisch auf die Situation vorbereiten.
Dafür gehen wir nochmal an den Punkt zurück, an dem du in deiner Präsentation stockst. Das Schlimmste, was realistisch passieren kann ist, dass für ein paar Sekunden Stille einkehrt und du den Faden verlierst. Absolut kein Weltuntergang. Denn du kannst dich auf dieses Szenario vorbereiten und dich schützen, indem du dir Karteikarten mit den wichtigsten Punkten deiner Präsentation anfertigst.
Natürlich wäre ein Blackout auch mit Karteikarten unangenehm. Aber wäre es wirklich so dramatisch? Du bist bei Weitem nicht der erste Mensch, dem sowas passiert. Und gefeuert wirst du deswegen mit Sicherheit auch nicht. Wahrscheinlich haben 99% deiner Zuhörer vollstes Verständnis für deine Aufregung. Sie sind schließlich auch Menschen mit Fehlern und Schwächen.
Indem du dich selbst mit den Worst-Case-Szenarien konfrontierst und deine Katastrophenfantasien hinterfragst, kannst du dich auf herausfordernde Situationen vorbereiten und Lösungen erarbeiten, mit denen du sie erfolgreich bewältigst.
4. Always look on the bright side of life
Manche Situationen im Leben sind einfach stressig. Einige Probleme so groß, dass du erst einmal nicht weiter weißt. Manchmal würdest du am liebsten den Kopf in den Sand stecken.
So geht es jedem mal.
Gerade, weil das Leben nicht nur aus Zuckerwatte und Feenstaub besteht, ist es wichtig, dass du deinen Fokus auf das Positive richtest. Ein positives Mindset ist das A und O. Das kann ich nicht oft genug sagen. Ich habe dir ein paar Richtlinien zusammengestellt, wie du auch in Krisensituationen optimistisch bleibst.
- Begreife das Problem als solches und nicht als Weltuntergang.
- Konzentriere dich auf die Fakten. Sei wachsam für mögliche Denkfehler und löse dich von verzerrten Interpretationen.
- Jammere nicht bloß über das Problem, sondern halte Ausschau nach Lösungsmöglichkeiten.
- Verliere dich nicht immer nur in Worst-Case-Szenarien, sondern überlege auch mal, was im bestmöglichen Fall passieren würde.
- Mache dir deine Stärken und Ressourcen bewusst und überlege, wie du sie zur Lösung deines Problems einsetzen kannst.
- Begib dich in einen positiven Dialog mit dir selbst, indem du dir hilfreiche Reflexionsfragen Hier einige Beispiele: Worüber bin ich im Moment glücklich? Wofür bin ich dankbar? Was begeistert mich? Worauf bin ich stolz? Wer unterstützt mich?
Probleme lösen sich leichter, wenn du einen kühlen Kopf bewahrst.
Mach dir das immer wieder bewusst, wenn du im Stresstunnel gefangen bist und das Gefühl hast, dich im Kreis zu drehen. Meistens gibt es sogar eine ganze Reihe von Lösungen, die darauf warten, von dir gefunden zu werden.
Schreib mir in die Kommentare, in welchen Situationen du einen Tunnelblick bekommst und wann dein Katastrophenmodus anspringt. Welche Strategien wendest du an, um einen kühlen Kopf zu bewahren.
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Hallo Ulrike,
ich habe gerade deinen Artikel über das Thema „Tunnelblick“ gelesen. Er hat mir sehr geholfen. Zur Zeit habe ich einen Konflikt mit einem guten Bekannten. Er sieht unseren Disput leider durch diesen Tunnelblick und ich komme nicht dagegen an. Hintergrund ist, dass ich einen Wunsch geäußert habe und er ihn als Verletzung wahrgenommen hat. Seitdem (Anfang Dezember) verweigert er mir klärendes Gespräch. Er schreibt nur über Whats App und es ist immer das Gleiche …Du hast mich verletzt, ich soll mich entschuldigen und seit Neustem … „wie erbärmlich ich bin, dass ich mich nicht entschuldigen kann“. Ich habe erkannt, dass wohl auch andere Schwierigkeiten hinter seinem Tunnelblick stehen. Leider konnte ich nicht anders als die Freundschaft zu beenden, da wir einfach nicht weiterkamen. Was ich sehr schade finde, aber akzeptiere.
Liebe Carola,
es freut mich, dass ich dir mit dem Artikel eine Erklärung für das Verhalten deines Bekannten liefern konnte. Dass er überhaupt nicht in der Lage war, seinen Blick zu weiten und sich auf ein klärendes Gespräch mit dir einzulassen, ist natürlich sehr schade. Ich finde es total gut und verständlich, dass du für dich eine Entscheidung getroffen und diese Freundschaft beendet hast. Natürlich kann man erstmal versuchen, den anderen wahrzunehmen und ihm auch zu kommunizieren „Hey, ich sehe, dass du verletzt bist, UND zugleich möchte ich dir sagen, dass…“. Aber wenn man einfach nicht mehr weiterkommt, ist es eben auch sinnvoll, einen klaren Cut zu machen. Dir ganz viel positive Energie und Gelassenheit 🙂
Hallo Ulrike,
danke für den Artikel zum Thema „Tunnelblick“. Er hilft mir, klarer zu sehen und einiges besser zu verstehen und einen Lösungsweg für mein Problem zu finden.
Es geht bei meinem Tunnelblick um ein Trauma aus meiner Vergangenheit, dass ich bisher nicht verarbeiten kann.
Liebe Maike,
vielen Dank für dein Feedback. Es freut mich zu hören, dass der Artikel dir weitergeholfen hat und ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du einen Weg findest, deine Erfahrungen zu verarbeiten. Falls du allein gar nicht mehr weiterkommen solltest, könntest du ja auch mal darüber nachdenken, ob eine professionelle Unterstützung für dich in Frage käme?
Alles Gute für dich!
Ulrike