Neulich in der Pause in einem Seminar zum Thema Resilienzaufbau: Eine Teilnehmerin kommt auf mich zu, während ich Material für die nächste Übung bereit lege. Sie spricht mich an, ob sie mir „mal kurz“ was sagen könne. Ich bejahe das natürlich.
Sie zeigt auf das Flipchart und sagt: „Ulrike, deine Flipcharts sind so toll gestaltet. Aber auf dem mit dem Kaktus am Anfang ist ein Schreibfehler. Das wollte ich dir nur sagen wegen des Fotoprotokolls, das du uns schicken willst.“.
Ich nicke freundlich, gehe mit ihr zum Flipchart, blättere zum betreffenden Blatt und siehe da: ein SEHR offensichtlicher Fehler.
Ich bedanke mich überschwänglich für das Feedback. Die Teilnehmerin zieht erfreut von dannen. Ich korrigiere den Fehler mit Tipp-Ex. Äußerlich bin ich ruhig und entspannt. Was macht schon so ein Minifehler angesichts der vielen schönen Flips? Wie schön, dass ich es der Teilnehmerin wert bin, dass sie sich Zeit nimmt, mir das zu sagen.
Aber innerlich? Da tobt es!
Denn ja, ich gehöre auch zu denen, die sich Kritik sehr zu Herzen nehmen.
Früher war das noch viel schlimmer. Da bin ich tagelang nicht darüber hinweg gekommen und habe mich selbst innerlich schwer beschimpft. Denn wie kann ein erwachsener Mensch mit Abitur einen solch dämlichen Fehler machen? Von innerer Gelassenheit und liebevollem Umgang mit mir selbst bin ich in solchen Momenten weit entfernt.
Kennst du das? Dass du dir alles sehr zu Herzen nimmst? Und zwar ganz unabhängig davon, ob es dein Gegenüber eigentlich gut oder ob es sich um bissige Kommentare handelt? Fühlst du dich von den Aussagen anderer schnell persönlich getroffen und kannst damit schwer umgehen? Knabberst du daran, wenn dir andere etwas sagen, das du nicht gerne hörst?
Willkommen im Club!
Es ist wirklich alles andere als leicht, nicht automatisch in eine negative Selbstspirale hineinzugeraten. Stundenlang darüber nachzugrübeln, ob der andere nicht doch Recht hat, an sich selbst zu zweifeln und sich abzuwerten.
In diesem Artikel möchte ich dir deswegen zeigen, wie du es schaffst, dir die Dinge nicht mehr so zu Herzen zu nehmen. Ich möchte dir sechs Sichtweisen und Strategien an die Hand geben, in denen du konkrete Do’s und Dont’s für den Umgang mit Feedback, Meinung, „Kritik“ & Co. findest. Das alles sind Dinge, die aus psychologischer Sicht helfen und mit denen ich auch persönlich sehr gute Erfahrungen gemacht habe.
6 Sichtweisen, mit denen negatives Feedback und Kritik dich nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen
1. Kritik hat in aller Regel mehr mit der anderen Person zu tun als mit dir
In den vergangenen Jahren habe ich gelernt: Das Gesagte, ob eine kritische Äußerung, ein nett gemeinter Hinweis oder ein wie auch immer geartetes Feedback sagt in aller Regel sehr viel mehr über denjenigen, aus der dich kritisiert als über dich.
Eine kleine, wunderbar lehrreiche Geschichte, die ich aus dem Buch „Der Kaufmann und der Papagei“ von Nossrat Peseschkian kenne, zeigt das noch einmal sehr deutlich:
Ein Vater zog mit seinem Sohn und einem Esel in der Mittagshitze durch die staubigen Gassen. Der Sohn führte und der Vater saß auf dem Esel.
„Der arme kleine Junge“, sagte ein vorbeigehender Mann. „Seine kurzen Beine versuchen, mit dem Tempo des Esels Schritt zu halten. Wie kann man nur so faul auf dem Esel sitzen, wenn man sieht, dass das Kind sich müde läuft?”
Der Vater nahm sich dies zu Herzen, stieg hinter der nächsten Ecke ab und ließ den Jungen aufsitzen.
Es dauerte nicht lange, da erhob schon wieder ein Vorübergehender seine Stimme:
„So eine Unverschämtheit! Sitzt doch der kleine Bengel wie ein König auf dem Esel, während sein armer, alter Vater nebenherläuft.“
Dies tat nun dem Jungen leid und er bat seinen Vater, sich mit ihm auf den Esel zu setzen.
„Ja, gibt es sowas?“, sagte eine alte Frau.
„So eine Tierquälerei! Dem armen Esel hängt der Rücken durch und der junge und der alte Nichtsnutz ruhen sich auf ihm aus. Der arme Esel!“
Vater und Sohn sahen sich an, stiegen beide vom Esel herunter und gingen neben dem Esel her.
Dann begegnete ihnen ein Mann, der sich über sie lustig machte: „Wie kann man bloß so dumm sein? Wofür hat man einen Esel, wenn er einen nicht tragen kann?“
Der Vater gab dem Esel zu trinken und legte dann die Hand auf die Schulter seines Sohnes. „Egal, was wir machen“, sagte er, „es gibt immer jemanden, der damit nicht einverstanden ist. Ab jetzt tun wir das, was wir selber für richtig halten!“
Der Sohn nickte zustimmend.
Du siehst also: ein und dieselbe Situation, vier verschiedene Ansichten. Jede der Meinungen ist aus der Sicht der jeweiligen Personen auch verständlich. Denn niemand tut oder sagt etwas ohne Grund.
Möglicherweise fällt einem alten Mann eher unangenehm ins Auge, wenn der Junge auf dem Esel sitzt und einer jungen Mutter, wenn der Junge läuft und dabei erschöpft aussieht. Ein Tierschützer sieht vielleicht die enorme Last, die der Esel zu tragen hat.
Oder nimm mein Beispiel von oben. Ich bin mir sicher, dass ich es mit einer Frau zu tun hatte, die selbst vielleicht Angst vor der negativen Bewertung durch andere hat, wenn sie einen kleinsten Fehler macht. Vielleicht ist sie selbst auch perfektionistisch veranlagt. Oder vielleicht arbeitet sie auch einfach nur im PR- oder Marketingbereich, hat täglich mit Sprache zu tun und wollte mich aufgrund ihrer freundlichen Persönlichkeit darauf hinweisen.
Das sind gute Beispiele für das, was ich meine: Das, was Personen von sich geben, sagt viel mehr über sie aus. Über ihre Ansichten, Wahrnehmungen und Werturteile.
Wenn du dich nur an den Erwartungen anderer ausrichtest, wird es dich von dir wegbringen. Und eine liebevolle Beziehung zu dir selbst wird schwerer und schwerer.
Wie kannst du diese Erkenntnis für dich nutzen?
Beobachte dich selbst: wie reagierst du, wenn dich jemand in deinen Augen persönlich „angreift“? Bist du mit dem Fokus bei dir und fragst dich, was du „falsch“ gemacht hast? Wie du vielleicht besser hättest reagieren können? Wo du selbst verkehrt oder nicht richtig warst?
Wenn du dich dabei ertappst, sag dir ganz klar STOP. Denn sonst nimmst du dir das Gesagte in einer ungesunden Weise zu Herzen.
Nachdem du nun weißt, dass die Aussage des anderen viel mehr mit seiner persönlichen Weltsicht, sich selbst und seinen „Problemchen“ zu tun hat, frag dich stattdessen: Was ist mit ihm oder ihr los? Wie muss er oder sie denken, wovon überzeugt sein, was erfahren haben, wie drauf sein, dass er oder sie das so formuliert?
Dadurch gelingt es dir, eine Art Distanz zwischen dich und den Worten von anderen zu bringen.
Du wirst feststellen: gaaanz häufig lädt der andere nur seinen Frust bei dir ab.
Ist auch nicht unbedingt immer toll, aber aus diesem Verständnis heraus fällt es dir wahrscheinlich leichter, es einfach so stehen zu lassen – und dabei im Frieden mit dir und dem anderen zu sein.
2.) Überprüfe deine Erwartungen und „Einladungen“
Ja, Einladungen, du hast richtig gelesen.
Auch wenn du es vermutlich weder hören noch glauben willst: es ist ziemlich wahrscheinlich, dass du andere häufig sogar zu der einen oder anderen harten, provozierenden Äußerung einlädst. Quasi darum bittest, danach fragst. Natürlich nicht absichtlich, sondern unbewusst.
Lass es mich an ein, zwei Beispielen erklären, die du vielleicht auch kennst.
Nehmen wir mal an, du hast auf der Arbeit ziemlich lange an einem Projekt rumgebastelt und bist nun eeendlich ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis. Bevor du es deinem Chef vorstellst, bittest du zwei bis drei deiner Kollegen um Feedback und fragst sie nach ihrer Meinung. Was fehlt, was man besser machen könnte usw.
Merkst du an der Art und Weise der Formulierung, dass du damit quasi nach kritischen Aspekten „lechzt“?
Und dann bist du geknickt, wenn du natürlich nicht nur positives Feedback bekommst, sondern die Kollegen dir auch die Dinge rückmelden, die fehlen oder was man besser machen könnte.
Oder beispielsweise im Privatleben. Stell dir vor, du hast dir richtig Mühe gegeben hast und für dich und deinen Schatz ein super leckeres und aufwändiges Dinner gezaubert.
Als ihr anfangt zu essen, fragst du: „Und, wie findest du’s?“
„Ja, schmeckt gut. Ist echt lecker.“
Anstelle es dabei zu belassen, hakst du weiter nach: „…aber?“
Bis dann irgendwann vom anderen irgendwas kommt, was nicht so ganz seinen Geschmack trifft oder man in seinen Augen doch hätte anders, besser machen können.
Und prompt bist du beleidigt oder enttäuscht und die Stimmung ist im Eimer.
Vielleicht verstehst du nun besser, was ich damit meine, wenn ich sage, dass wir bissige und für uns schwierige Kommentare von anderen oftmals regelrecht herausfordern.
Wie du diese Erkenntnis für dich nutzen kannst?
Indem du zu allererst eine gute Verbindung zu dir und deinem Inneren, d.h. deinen Gefühlen und Bedürfnissen aufbaust. Und dir darüber klar wirst, was du eigentlich gerade bräuchtest.
Dann kannst du in erster Linie erstmal selbst dafür sorgen, diese Bedürfnisse zu befriedigen anstelle dich von anderen abhängig zu machen, dass sie deine Bedürfnisse erfüllen. (Und anschließend traurig oder sauer bist, dass derjenige dir das nicht so gibt, wie du dir das vorgestellt hast.)
Natürlich gibt es auch Momente, wo du eine liebevolle Umarmung, eine anlehnende Schulter oder liebe und mitfühlende Worte vom Partner, der Freundin oder jemand anderem brauchst. Dem solltest du unbedingt nachgehen.
Sei dann bestenfalls ehrlich, und traue dich, über deine Gefühle und Bedürfnisse offen zu sprechen.
Anstelle andere unbewusst einzuladen, dir mit der Bratpfanne noch einen obendrauf zu geben.
Für mich persönlich war diese Erkenntnis ein absoluter Game Changer. Ich habe zwar lange gebraucht, um zu kapieren, was da unbewusst läuft. Aber nachdem ich für mich überprüft habe, wie und wann ich mit „Einladungen“ bei den „falschen“ Menschen um mich geworfen habe, weiß ich genau, wen ich um welche Art des Feedbacks frage, sodass ich a) gut beraten werde und mich b) danach nicht schlecht und minderwertig fühle. Oder ich weiß, dass ich mich bei bestimmten Menschen, wenn ich deren Feedback erwarte, gleich mit dem mentalen Michelin-Anzug oder gedanklichen Schutzschild aus dem Haus gehe – über diese Strategie wirst du weiter unten noch was lesen.
3.) Akzeptiere, dass jeder seine ganz eigene Sicht der Dinge hat
Nehmen wir ein simples Beispiel, bei dem dir das Akzeptieren, dass jeder Mensch seine ganz eigene Sicht der Dinge hat vermutlich einleuchtet und leicht fällt: persönliche Vorlieben.
Um was auch immer es geht: Bei Kleidung, Filmen oder auch beim Essen oder Getränken – jeder hat seinen eigenen Geschmack.
Nehmen wir an, du vergötterst Rosenkohl. Auch wenn es für dich dann schwer vorstellbar ist: Es gibt Personen, die das sehr unlecker finden.
Genauso verschieden sind die Ansichten auch, wenn es um andere, „größere“, damit meine ich stark „verhaltenslenkende“ Dinge geht – wie beispielsweise Überzeugungen, Werte oder Meinungen darüber, was „richtig“ und „falsch“ ist.
Ich möchte dir dazu ein Bild zeigen, das es auf den Punkt bringt.
Aus beiden Perspektiven ist die Aussage vollkommen korrekt und verständlich. Das Problem dabei, dass die beiden Herren so niemals übereinkommen werden.
Und das, was ich dir jetzt sage, kannst du auf jede deiner Situationen übertragen, wenn dir jemand etwas sagt – insbesondere über dich, mit dem du nicht „einverstanden“ bist, das dir im ersten Moment kräftig aufstößt.
Dann gibt es meistens 2 Varianten.
Wenn du dir das Gesagte sehr zu Herzen nimmst, fühlst du dich zurückgewiesen und gekränkt. Du bist enttäuscht und verletzt und zweifelst sofort an deinem Verhalten und dir als Mensch. Und ruckzuck ist der innere Kritiker auf der Bühne und die Selbstabwertungsspirale in Gang.
Oder aber du empfindest es als Bedrohung, dass der andere es komplett anders sieht. Und prescht nach vorne und wirst vielleicht sogar in deinen Aussagen verletzend – dem anderen Gegenüber.
Klingt beides nicht vielversprechend.
Was kannst du also stattdessen tun?
Akzeptiere, dass der andere eine andere Meinung oder Überzeugung hat. Und dass deine Wahrnehmung deine Wahrheit ist.
Das, was der Andere empfindet oder für richtig hält, muss nicht unbedingt für dich gelten.
Es gibt so viele Meinungen wie Menschen in einem Raum. Und dass das auch in Ordnung.
Es geht nicht immer darum, übereinzustimmen.
Stell dir vor, du bist im Meeting mit 20 Kollegen. Wie wird das ablaufen? Klare Sache: jeder gibt seinen Senf dazu. Und alleine deshalb kann und wird nicht jeder seinen Standpunkt durchsetzen können. Vielleicht schaffst du es in diesem Fall nicht.
Dann ist es furchtbar wichtig, dass du dich nicht abwertest, wenn sich vielleicht tief drinnen ein leichtes Gefühl der Unterlegenheit und des Versagens einstellt. Mach dir klar: du brauchst nicht die Zustimmung bzw. Übereinstimmung von anderen, damit deine Ansicht und damit du „OK“ bist.
Du tust gut daran, für dich und deine Meinung (Wahrgebung) einzustehen. Denn nur weil andere eine andere Meinung (Wahrgebung) haben, heißt es nicht, dass deine „schlechter“ oder „falsch“ ist.
Lass mich dir dazu noch ein persönliches Beispiel geben.
Mir ist Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein sehr wichtig. Je mehr ich darüber lese, umso wichtiger wird es. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jeder einen Unterschied machen kann. Also versuche ich beispielsweise beim Einkaufen keine Plastiktüten mehr zu verwenden, sondern nehme mir von zuhause eine Stofftasche mit. Obst und Gemüse kaufe ich auf dem Markt und dem Bäcker halte ich mein Bio-Netz hin, um die Papiertüte, die sofort wieder in den Müll wandern würde, zu vermeiden. Kleider kaufe ich nur sehr bewusst ein – slow und fair fashion und so.
Trotzdem steige ich ins Flugzeug, um am anderen Ende der Welt Urlaub zu machen. Und auch wenn ich diesen Flug kompensiere, können und werden auch ganz viele sagen: Na, wenn du fliegst, brauchst du mit Plastiktüten und Klamotten gar nicht erst anfangen. Was soll denn das dann bringen?
Ich könnte dann an mir zweifeln. Ich könnte es aber sein lassen.
Denn: Es gibt immer Angriffspunkte für Andere.
Und sie werden auch IMMER etwas vermeintlich „Negatives“ über dich sagen – denn negativ ist für dich erstmal alles, was nicht mit deiner Wahrnehmung und damit deiner Wahrheit übereinstimmt.
4.) Trenne Verhalten von Person
Frag dich in Momenten, in denen es innerlich bei dir abgeht: Geht es um mein Verhalten oder meine Person?
Diese Frage ist deswegen so wichtig, weil ihre Antwort entscheidend dafür ist, ob und wie stark dich etwas emotional trifft.
Unangenehm für dich wird’s vor allem dann, wenn du das, was der andere sagt auf dich als Person, als gesamten Menschen beziehst.
Dann denkst du nämlich, der andere hat allgemein etwas gegen dich oder du bist insgesamt falsch.
Dass das aber häufig eine „Überinterpretation“ ist, zeigt das Eingangsbeispiel ganz gut. Du erinnerst dich an die Frau, die mich auf den Rechtschreibfehler aufmerksam gemacht hat?
Sie meinte mit ihrem Feedback sicherlich nicht, das ich als ganze Person ungenau oder schludrig bin. Dass ich unaufmerksam bin, dass mir Qualität nicht wichtig ist usw. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie mich lediglich auf den einen Fehler hinweisen wollte.
Und wenn ich das auch so sehen und erkennen kann, kann ich damit auch gut umgehen und bin nicht gekränkt, verletzt oder beleidigt.
Wie kannst du diese Erkenntnis für dich nutzen?
Stell dir die Frage: welchen Aspekt einer Aussage, die mich gerade trifft oder mir nachhängt, beziehe ich auf mich als gesamter Mensch? Und könnte es nicht vielleicht sein, dass der Andere vielmehr mein Verhalten als mich selbst meint?
Generell – merke dir: der andere meint in Wahrheit oft “nur“ dein Verhalten. Auch wenn er sich vielleicht nicht so elegant ausdrückt.
Gehe im „Zweifelsfall“ immer davon aus und versuche, mitfühlend und offen zu bleiben.
Wenn du erst einmal auf dem Trip bist, dass der andere etwas gegen dich hat, wirst du alle seine Aussagen auch in diesem Sinne, d.h. auf dem Beziehungsohr wahrnehmen. Falls du wirklich nachdrücklich das Gefühl hast, dass die Aussage unangebracht war, sprich ihn oder sie aber auf jeden Fall darauf an – in freundlich- neugierigem Tonfall.
5.) Was steckt wirklich dahinter? Finde den Kern, der dich wirklich trifft
Dieser Aspekt schließt wunderbar an den vorherigen an.
Nehmen wir an, du beziehst das Gesagte auf dich als gesamten Menschen.
Was passiert dann?
Du wirst sicherlich nicht bereit sein, dir dein Verhalten genauer anzusehen und einsichtig sein, eventuell „Fehler“ zugeben und dann an ihnen arbeiten. So kannst du besser werden. Wir alle machen Fehler und manchmal sollten wir uns Kritik zu Herzen nehmen.
Wenn du das aber nicht tust, wirst du wahrscheinlicher mit dem Finger auf andere zeigen. Denn, was du in solchen Momenten, wo du bei einem „Fehler“ „ertappt“ wurdest, spürst, ist Scham. Das ist echt unangenehm. Und die meisten Menschen reagieren, um dieses Schamgefühl nicht spüren zu müssen, mit einem Schutzgefühl. Stell dir vor, dass sich das wie oben auf legt. Bei den meisten ist das Ärger. Weswegen du in solchen Momenten anstelle peinlich berührt zur Seite zu schauen mit dem Finger auf den anderen zeigst. Wenn du empfindlich, trotzig oder wütend wirst, ist das meistens ein Indiz dafür, dass du insgeheim weißt, dass der andere recht damit hat.
Dass da etwas dran ist.
Ich kenne das beispielsweise beim Thema Ernährung und Gewicht, einer meiner persönlichen wunden Punkte.
Wenn ich mich in einem Restaurant beispielsweise entscheide, ein Dessert zu bestellen und mein Mann guckt mich daraufhin „komisch“ an, nehme ich das sehr persönlich. Und zwar deshalb, weil ich mich schäme. Für mein Gewicht. Und ich weiß, dass er im Grunde Recht hat. Dass ich, wenn ich konsequent an meinem Gewicht etwas verändern wollte, besser darauf verzichten würde.
Er möchte mir weiterhelfen, mich dabei unterstützen, etwas durchzuziehen, was mir wichtig ist.
Gerade nahestehende Personen, denen du wichtig bist, meinen es selten schlecht – auch wenn du im ersten Moment erstmal schlucken musst.
Wie kannst du diese Erkenntnis für dich nutzen?
Du musst nicht gleich jubeln über den Spiegel, den der andere dir vorhält und in Dankbarkeit schwelgen.
Was du aber auf jeden Fall tun solltest, ist einfach mal für dich überprüfen: wo hat der andere vielleicht recht? Was ist da dran und vielleicht sollte ich mich damit (noch)mal auseinandersetzen? Gibt es etwas an der Kritik, das ich mir wirklich zu Herzen nehmen sollte. Und zwar nicht in der Weise, mich oder den anderen fertig zu machen, sondern als Chance, mich weiterzuentwickeln und besser zu werden?
Nutze es also als Einladung zur Selbstreflexion.
6.) Keep in mind: dein Wert als Mensch ist unantastbar!
Seien wir ehrlich: Es gibt durchaus Menschen, die schlicht und einfach nullkommanull Feingefühl besitzen und gezielt auf deinen Gefühlen rumtrampeln. Manche sind fies und deren verbale Attacke ist persönlich gemeint.
Was kannst du tun, wenn du so jemandem begegnest?
Wichtig ist es, dass du dir klar machst: ganz egal, was der Andere denkt, sagt oder tut – nichts davon greift deinen Wert an.
Nichts davon ändert etwas, dass du ein einzigartiger, wunderbarer und wertvoller Mensch bist.
Lass mich dir auch hier wieder ein Bild an die Hand geben, das mir selbst sehr geholfen hat, das wirklich in mir zu verankern. Immer, wenn ich mich selbst abwerte, denke ich an dieses Bild und schon geht es mir besser.
Stell dir vor, ich habe einen 50 € Schein in der Hand und ich frage dich, wie viel der wert ist. Du würdest mir 50 € antworten, richtig?
Ok, stell dir vor, ich werfe diesen Schein anschließend auf den Boden und trete drauf herum. Was natürlich nicht ohne Folgen bleibt. Der Schein ist ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, ordentlich zerknittert und vermutlich auch dreckig.
Stell dir vor, ich hebe den Schein auf, halte ihn dir vor die Nase und frage dich: Wie viel ist der zerknitterte Schein wert?
Immer noch 50 €, nicht wahr?!
Was ich dir damit sagen möchte: Ganz egal, wer und wie stark im Außen auf deinen Gefühlen rumtrampelt, es verändert nicht deinen Wert als Mensch.
Der Vorteil, den du gegenüber dem Geldschein hast: du musst nicht einfach alles stillschweigend über dich ergehen lassen
Sondern du hast eine Wahl, kannst aktiv handeln.
Werde dir deshalb im Klaren: wo lässt du auf dir herumtrampeln?
Setze klare Grenzen! Sag dem anderen Stopp. Sage laut nein, wenn jemand deine Grenzen überschreitet. Und versuche, dich fiesen Attacken bewusst zu entziehen. Weil es erfahrungsgemäß für viele ein heikles und schwieriges Thema ist, nein zu sagen, habe ich einen Artikel geschrieben, wie es dir leichter fällt, dieses Wörtchen öfter auszusprechen.
Du kannst in vielen Fällen (mit)bestimmen, welchen Situationen du dich aussetzt.
Wenn du nicht den Raum verlassen kannst, baue dir ein „mentales Schutzschild“. Du kannst dir wirklich physisch vorstellen, wie die Worte des anderen daran abprallen und nicht mehr dein Gehirn und schon gar nicht dein Herz erreichen.
Außerdem ist es ratsam, wenn du dir deinen eigenen Wert bewusst machst.
Wie?
Indem du auch unabhängig von konkreten Kritikmomenten aufhörst, an dir zu zweifeln, dich zu kritisieren, abzuwerten und stattdessen beginnst, dich Schritt für Schritt mehr anzunehmen. Dir Mitgefühl entgegenzubringen, gut für dich selbst zu sorgen und so nach und nach eine liebende Beziehung zu dir selbst aufbaust – ganz unabhängig davon, wer was im Außen zu dir sagt oder tut.
Damit möchte ich dich für heute entlassen.
Ich hoffe sehr, du bist nun zuversichtlicher, dass dich künftig „Kritik“ von anderen nicht mehr so aus der Bahn wirft – vor allem emotional. Und mit den Strategien, Bildern und Geschichten besser „gerüstet“ für solche Situationen.
Versuche in der nächsten Situation, in der dir eine Verhaltensweise oder Äußerung eines anderen unangenehm aufstößt, dir mindestens eine, besser gleich mehrere der Strategien ins Gedächtnis zu rufen. Am besten fasst du jeden der Punkte in einem knackigen, für dich stimmigen Satz bzw. einer Anweisung zusammen, die dir hängen bleibt.
Wie verändert sich dein Verhalten dadurch? Schießt du immer noch in den Rechtfertigungs-, Verteidigungs-, oder Traurig-Sein-Modus?
Und vor allem: wie sieht’s innerlich bei dir aus? Fühlst du dich immer noch deinen Gefühlen und Empfindungen ausgeliefert? Geht die Spirale der Selbstzweifel und Selbstabwertung nach wie vor los? Oder gelingt es dir, dich nicht mehr so sehr aus deiner inneren Ruhe bringen zu lassen?
Ich freue mich sehr über deine Beantwortung der Fragen – sehr gerne auch bezogen auf eine konkrete Situation.
PS: Sharing is caring: Wenn dir der Artikel gefallen und geholfen hat, teile ihn jetzt mit deinen Liebsten und mit allen Menschen, denen das Wissen auch weiterhelfen kann. Dankeschön!
Liebe Ulrike,
vielen lieben Dank mal wieder für diesen hilfreichen und inspirierende Artikel. Sich bewusst werden, worum es mir (und dem anderen) eigentlich geht und einen Schritt zurückzutreten und nicht alles so persönlich zu nehmen – das sind tatsächlich Game Changer, wie du sie nennst. Und sie erfordern einiges an Übung. 😉
Alles Liebe!
Jeannette
Liebe Jeanette,
sehr, sehr gern. Ich kenne das Thema persönlich auch nur zu gut, deswegen war es mir ein echtes Anliegen, ihn zu schreiben. Und ja, das geht auch meiner Erfahrung nicht von einem Tag auf den anderen. Aber Schritt für Schritt <3.
Hallo,
Also…..ich habe ganz brav und neugierig gelesen bis zu dem Moment, wo es ums Dessert im Restaurant ging. Sorry, aber ich finde, dass der Mann hat nichts böse zu gucken,wenn es um mich und mein Dessert geht, ob ich dick bin oder nicht. Kein Mensch auf Erden hat Recht,mir Appetit zu verderben. Und das kann auch niemand gut meinen, denn ein Dessert ist Futter für die Seele, und wer meiner Seele den Futter wegnehmen moechte, ist eine böse Kreatur! 😉
Beste Grüsse.
Liebe Nataliya,
danke für deinen Kommentar, der mich echt hat Schmunzeln lassen. Ich stimme dir natürlich zu, wenn es um Dessert als Futter für die Seele geht ;-). Meinen Mann nehme ich dennoch in Schutz. Denn nicht geschrieben hatte ich, dass ich ihn vorher um Unterstützung gebeten habe 🙂
Das mit dem Fehler konnte ich nicht so ganz nachvollziehen, weil ich wäre dankbar dafür gewesen, wenn mich jemand auf einen Fehler aufmerksam gemacht hätte. Insofern fand ich das Beispiel zu lasch für mich. Ansonsten ja, alles gut beschrieben und letztlich geht es ja auch darum, dass es egal ist, was andere über einen sagen und doch ist es auch schwer das zu akzeptieren. Ich denke jedoch auch, dass es wichtig ist, den Hintergrund näher zu beleuchten. Warum bin ich so / warum empfinde ich so? Es hat ja einen Ursprung.
Liebe Ingrid,
danke für deinen Kommentar. So ist das immer mit den Beispielen. Was den einen trifft, ist für den anderen „gar nichts“. Das zeigt einmal mehr, wie subjektiv unsere Wahrnehmung ist :). Ich glaube persönlich, dass es gut ist, wenn einem nicht egal ist, was andere sagen (so wie du schreibst, kann es ja auch wertvolles Feedback sein), aber sehr, sehr gut zu prüfen, was davon man an sich ran lässt und was nicht. Denn wird es einem egal, was andere sagen, würden wir unberührbar – und das scheint mir auch nicht der Weg. Zumindest erlebe ich das bei meinen Klienten. Und es gibt dem Gegenüber noch mehr Macht, denn wenn es mir dann in einer Situation eben nicht egal ist, trifft mich nicht nur das Feedback/ die Kritik/ das Verhalten des Gegenübers, sondern nun noch zusätzlich, dass ich es nicht geschafft habe, dass es mir egal ist… Und das ist auch ein guter Punkt: Die Frage „Warum treffen mich diese Punkte so?“ kann weiterhelfen und Klarheit schaffen.
Liebe Ulrike,
vielen lieben Dank für Deinen bewegenden Artikel! Ich bin eine sehr selbstreflektierende Person, was mir nicht immer gut tut, und habe schon oft gemerkt, dass ich z.B. zu Kritik „einlade“ bzw. eigentlich schon fast bettel. Wir machen uns das Leben sehr oft selber schwer und bieten sehr große Angriffsflächen…
Vielen Dank für deine aufbauenden und bewegende Worte und Unterstützung! Auch wenn man vieles selbst schon ahnt oder sogar schon weiß, glaubt man es doch erst, wenn jemand anderes die Wahrheit ausspricht! 🙂
Ich wünsche Dir und allen Menschen mit einem kleinen „Zielscheiben-Herzen“ viel Sonnenschein und viele liebevolle Momente.
Liebe Frau Bossmann, ich lese aus ihren Texten und Kommentaren ganz stark heraus, daß sie wissen wovon sie schreiben. Diese Spirale, die sie ihrem Text beschrieben haben, und am Ende wieder die Scham. Das verfolgt mich mein ganzes Leben. Und parallel der Druck, es immer besser machen zu müssen. Sicher ein Resultat meiner Vergangenheit aber auch die sollte man mal hinter sich lassen. Eine Psychologin hat dazu einmal gesagt, sie fände es furchtbar wenn Menschen in der Vergangenheit hängen bleiben und mit 80 dann 30 Jahre und immer noch den Verlust der Mutter betrauern. Ich glaube fest, solange ich Herz und Hirntechnisch eine Einheit finden möchte, muss ich an mir arbeiten. Ihre Texte werde ich mir sehr gerne weiter durchlesen. Danke für die Unterstützung und Offenheit in ihren Gedanken.
Liebe Malika,
es freut mich von Herzen, dass Ihnen der Artikel eine Hilfe war. Und ja, wenn wir unsere festsitzenden Denkstrukturen durchbrechen wollen, bleibt es nicht aus, dass wir aktiv hinschauen und an uns arbeiten. Wunderbar, dass Sie das erkannt haben und mit dem Lesen des Artikels einen ersten Schritt gegangen sind. Alles Gute für Sie!
So ein schöner, liebevoller und herzlicher Beitrag.
Danke dafür, das gibt mir richtig Kraft.
Liebe Ioana, ich freue mich, dass dir der Artikel Kraft geschenkt hat 💛
Genau das habe ich versucht, damit zu erreichen.
Ganz lieben Gruß, Ulrike
Sehr geehrte Frau Bossmann,
An einer Stelle haben Sie geschrieben:
Wenn du empfindlich, trotzig oder wütend wirst, ist das meistens ein Indiz dafür, dass du insgeheim weißt, dass der andere recht damit hat.
Dass da etwas dran ist.
Diese Stelle verunsichert mich extrem. Ich habe ein Streit mit meiner Mutter gehabt und bin empfindlich und wütend geworden, aber nicht weil ich mir diesen Vorfall hab zu schulden kommen lassen (da bin ich mit mir selbst absolut im reinen) sondern weil ich immer und immer und immer wieder als Lügnerin hingestellt wurde. Egal wie oft ich mich erklärte. Heute habe ich das Gespräch mit meiner Mutter gesucht und gesagt das es mir leid tut das ich wütend wurde…sie hat mir halbherzig verziehen und trotzdem war ich in ihren Augen eine Lügnerin. Sie hat ihren Willen bekommen und ich stehe mit tiefer Traurigkeit da.
Ich fühle mich erniedrigt und bin traurig. Letzlichst bin ich trotzdem eine Lügnerin und bleibe es in ihren Augen. Wie soll ich damit umgehen?
Hallo Frau Schulze,
Ich kann verstehen, dass Sie sich sehr gekränkt und traurig fühlen, weil Sie das Gefühl haben, dass Ihre Mutter Sie immer wieder als Lügnerin darstellt und das in Ihnen ganz viele Gefühle hervorkocht. Haben Sie denn die anderen Tipps aus dem Artikel (wie z.B. Nr. 3 oder 6) schon ausprobiert?
Ganz liebe Grüße,
Ulrike