Auf jedem Flug hörst du diese Ansage: Setzen Sie im Falle eines Druckverlustes in der Kabine zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske auf und kümmern sich dann um mitreisende Kinder und andere Passagiere. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Du musst dich gut um dich kümmern, damit du für andere da sein kannst. Was im Flugzeug so logisch klingt, ist im Alltag für viele ziemlich schwer. Vielleicht kennst auch du die Angst, egoistisch zu wirken, wenn du mal nein sagst? Das schlechte Gewissen, das dich, wenn du dir Zeit für dich nimmst, davor warnt, dich ja nur nicht über die anderen zu stellen? Wenn dir das bekannt vorkommt und du dich ständig fragst, ob du vielleicht egoistisch handelst oder was eigentlich das richtige Maß für eine gute Selbstfürsorge ist, dann bist du hier genau richtig.
Die „richtige“ Dosis Selbstfürsorge
Vielleicht vorweg: In meinem Coachingalltag und in meinen Onlinekursen begegnen mir vor allem Menschen, die eindeutig zu wenig auf sich und ihre Bedürfnisse achten. Aber ja, ich glaube, dass falsch verstandene Selbstfürsorge durchaus egoistisch sein kann und es ein zu viel an Selbstfürsorge gibt. Ich werde dir im Laufe des Artikels zwei Kriterien zeigen, anhand derer du erkennst, ob du gerade auf eine gute, gesunde Weise und im rechten Maß Selbstfürsorge betreibst oder nicht.
Wie alles andere im Leben ist auch das auf sich und die eigenen Bedürfnisse achten eine Frage der richtigen Dosis!
Nimm zum Beispiel die Charaktereigenschaft Bescheidenheit. Bescheidene Menschen lassen ihre Erfolge für sich sprechen, hören anderen aufmerksam zu und unterbrechen sie nicht. Sie handeln bedacht, können andere glänzen lassen und sehen sich selbst nicht als etwas Besonderes an. Im rechten Maß ist Bescheidenheit großartig und macht sympathisch.
Jedes Extrem dagegen ist problematisch: Wenig bescheidene Menschen nehmen sich selbst überwichtig und müssen ständig im Mittelpunkt stehen. Sie wirken arrogant, egomanisch und unsympathisch. Natürlich gibt es auch ein „zu viel“ an Bescheidenheit. Ein Klassiker: Vor lauter Demut erfährt niemand von deinen Stärken und Erfolgen, weswegen andere dich im Job weniger (wert-) schätzen als es angemessen wäre.
Genauso ist es bei der Selbstfürsorge auch. Jedes Extrem ist doof. Wenn du – überspitzt formuliert – nur noch von Termin zu Termin hetzt, dich schon erschöpft fühlst und trotzdem niemals Nein sagen kannst, ist das zweifelsfrei ein Zeichen für „zu wenig“ Selbstfürsorge. Verstehst du dagegen unter Selbstfürsorge, nur deine eigenen Interessen und Bedürfnisse im Kopf zu haben und ohne Rücksicht auf andere alles durchzusetzen, was dir wichtig ist, ist das ein klares Zeichen für „zu viel“ Selbstfürsorge.
Lass uns also schauen, wie du das „rechte Maß“ an Selbstfürsorge findest – weder zu wenig, noch zu viel, sondern genau richtig.
Das genau richtige Maß an Selbstfürsorge für dich
Natürlich gibt es kein wirklich objektives Maß für die perfekte Selbstfürsorge. Du bist als Mensch individuell. Dein Leben ist es. Wieso sollten wir Menschen also alle über einen Kamm zu scheren sein?
Wenn du zum Beispiel hochsensibel bist, wirst du wahrscheinlich sehr viel stärker auf deine eigenen Grenzen achten und darauf aufpassen, dass andere keine emotionale Umweltverschmutzung bei dir treiben als wenn du es nicht bist. Hast du gerade einen Burnout hinter dir, wirst du deine Ressourcen besonders schonen müssen. Bist du jemand, der kaum „Me-Time“ braucht (wie eine enge Freundin von mir), bleibst du vielleicht auch bei der Konfrontation mit 1000 Erwartungen von außen locker, solange du einmal im Monat 2 Stunden mit einer engen Freundin einen Tee trinken kannst.
Im Grunde machen wir uns also auf die Suche nach dem richtigen Maß an Selbstfürsorge für dich.
Die eine Seite der Medaille: So erkennst du, dass du dich zu wenig um dich kümmerst
Selbstfürsorge Egoismus – tauchen diese beiden Wörter bei dir auch oft zusammen im Kopf auf? Die Frage, ob du selbstsüchtig bist, weil du deine Bedürfnisse mal in den Vordergrund gestellt hast? Oder ob du ein bisschen mimimi bist, weil du eine Pause gebraucht hast?
Herzlichen Glückwunsch, du gehörst garantiert nicht zu denen, die sich sorgen müssen, weil sie zu egoistisch sind. Denn ehrlich: Glaubst du, ein Egoist würde sich diese Frage stellen? Natürlich nicht! Gedanken wie diese sind also ein klares Indiz dafür, dass du auf alle Fälle einen Zahn zulegen könntest bei deiner Selbstfürsorge.Es gibt für mich noch zwei weitere Indizien:
1. Selbstfürsorge ist nicht selbstverständlich für dich
Selbstfürsorge wäre für dich dann im rechten Maß vorhanden, wenn du nicht mehr stundenlang darüber nachdenken musst. Wenn sie ein natürlicher Bestandteil in deinem Alltag ist. Du betreibst sicher zu wenig Selbstfürsorge, wenn du dir nicht ganz selbstverständlich Zeit für Entspannung, dein Hobby oder Freudenmomente in deinem Alltag nimmst. Oder wenn du bei jedem Fehler bzw. in Momenten, in denen du deinem eigenen Anspruch nicht genügst, nicht ganz selbstverständlich liebevoll und verständnisvoll mit dir umgehst oder ganz allgemein stolz auf dich sein kannst – und zwar, ohne das du etwas besonders Tolles geleistet hast.
2. Dein Körper und deine Seele schicken dir eindeutige Warnsignale
Wenn du dich erschöpft, gestresst und unruhig fühlst, vernachlässigst du deine Bedürfnisse wahrscheinlich gerade ziemlich stark. Vielleicht schickt dein Körper dir bereits klare Warnsignale oder aber deine Seele tut es? Möglicherweise bist du nicht glücklich genug, spürst eine latente Unzufriedenheit, bist häufiger gereizt oder hast das Gefühl, dass es nicht mehr genug Leichtigkeit in deinem Leben gibt. Alles Anzeichen dafür, dass du selbstfürsorgetechnisch noch mindestens eine Schippe drauflegen kannst.
Die andere Seite der Medaille: So erkennst du, dass du Gefahr läufst, zum Egoisten zu mutieren
Es ist ziemlich offensichtlich, dass du es übertreibst, wenn deine Gedanken nur noch um deine Bedürfnisse kreisen und du alle(s) andere ausblendest, was auch ein Recht hat, berücksichtigt zu werden.
Es gibt aber noch zwei weitere klare Kriterien, anhand derer du entscheiden kannst, ob du gerade zu viel Selbstfürsorge betreibst und deine eigenen Bedürfnisse in unangemessener Weise in den Mittelpunkt stellst.
1. Du bist ständig in einer Abwehrhaltung und wirst immer unflexibler
Versuch mal einem militanten Waffennarr zu erklären, was das für ein Risiko ist. Ich bin sicher: Du würdest scheitern. Du auch, oder? Und zwar, weil er zu extrem unterwegs ist. Er verteidigt seine Position bis aufs letzte, wird für seine Position kämpfen und vermutlich niemals auch nur den Hauch eines Gegenarguments zulassen.
Was soll dir das in Bezug auf deine Selbstfürsorge sagen? Ganz einfach: Wenn du plötzlich bei jeder Bitte, die an dich herangetragen wird, innerlich denkst: „Schon wieder jemand, der was von mir will.“ oder „Ich kann doch nicht alles mit mir machen lassen“ und deswegen erst mal sofort innerlich oder äußerlich in die Abwehrhaltung gehst. Das rechte Maß bedeutet nicht, jede Anfrage abzulehnen und dich abzugrenzen bis zum letzten. Es heißt, mal ja zu sagen und mal nein. Oder nimm schwierige Menschen in deinem Umfeld und Konflikte. Wenn du ihnen allen aus dem Weg gehst („kostet mich zu viel Energie“) und dich gar nicht diesen Dingen stellst, hat das nichts mit dem rechten Maß zu tun. Denn das hieße, echte Energieräuber meiden, aber auch die Konfrontation suchen und Probleme lösen.
2. Deine Selbstfürsorge wird zum Zusatzstressor
Wenn dich deine Selbstfürsorge-Aktivitäten überfordern und du dich von deinen eigenen Erwartungen, dich gut um dich zu kümmern, unter Druck gesetzt fühlt, könnte deine Selbstfürsorge dir mehr schaden als nutzen. Es sollte auf keinen Fall so sein, dass deine Morgenroutine für dich zum Leistungssport wird. Oder dass du gestresst vom Meditationsunterricht zum Yoga Studio hetzt und dann noch 3 Stunden ungeduldig in der Küche stehst, um die perfekte gesunde Mahlzeit für dich zu zubereiten. Das gleiche gilt für die Mindset-Arbeit. Ja, du solltest lernen, selbstbewusster zu werden und dich mehr anzunehmen. Wenn daraus aber ein Selbstliebe-Body-Positivity-Ich-sag-mir-jeden-Tag-wie-sehr-ich-mich-Liebe-Ding wird, könnte es zu viel des Guten sein. In diesem Fall lohnt es sich für dich, deine Selbstfürsorge Aktivitäten zu überdenken und möglicherweise das Pensum so runter zu stufen, dass Selbstfürsorge keinen weiteren Stress für dich bedeutet.
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Nimmst du dir auch immer wieder vor, dich besser um dich zu kümmern, aber der Alltag macht dir einen Strich durch die Rechnung? Wenn du dein „Ich sollte mich wirklich mal mehr um mich kümmern“ in ein „Ich mach das jetzt!“ verwandeln willst, dann hol dir mein kostenloses Selbstfürsorge Planungs- und Tracking-Toolkit. In diesem Toolkit unterstützen dich ein Planer, 2 Habit Tracker und 30 knackige Selbstfürsorgeideen, ins Tun zu kommen.
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So findest du das rechte Maß an Selbstfürsorge und diese Aspekte gehören dazu
Vielleicht hast du jetzt schon eine Idee, ob du eher zur Kategorie zu wenig oder zu viel gehörst. In meinem letzten Artikel hast du gelernt, dass ich ein ganzheitliches Verständnis von Selbstfürsorge auf der Basis von acht Säulen vertrete. Lass uns also nochmal jene acht Säulen näher betrachten, die eine gute Selbstfürsorge für mich ausmachen.
1. Erholung
Du erholst dich nicht regelmäßig, machst zu wenig Pausen oder gönnst dir keine kleinen und größeren Auszeiten, so dass deine Batterien ständig leerer sind als es gut für dich wäre? Eindeutiges Zeichen für zu wenig Selbstfürsorge! Ein zu viel wird es, wenn du permanent in Schonhaltung gehst, dich von jeder gefühlten Anstrengung erst mal erholen musst und niemals aus deiner Komfortzone gehst, weil „dich das zu viel Kraft kosten“ könnte.
2. Genuss und das Schöne im Leben
Ein zu wenig heißt, du hast in deinem Alltag wenig Platz für das Schöne und den Genuss in deinem Leben reserviert. Wie heißt es so schön: Im Leben geht es nicht nur um die To-Do´s, sondern auch die Tadaas! Wenn du dir nicht regelmäßig die Zeit für Dinge nimmst, die dich begeistern und dir Freude machen und die du mit allen Sinnen genießen kannst, ist das ein Zeichen von zu wenig Selbstfürsorge. Ein zu viel wäre, wenn du nicht gut aushalten kannst, dass du nicht immer nur schöne Gefühle hast. Oder wenn du im Büro erst arbeits- und lebensfähig bist, nachdem du die Aromakerze aufgestellt, die Blumen im rechten Winkel angeordnet und die besten Kaffeebohnen in der Maschine sind.
3. Körperliche Grundbedürfnisse
Es ist klar, dass du zu wenig Selbstfürsorge betreibst, wenn du nicht auf die Signale deines Körpers hörst und ihm nicht das gibst, was er braucht (z.B. ausreichend Schlaf, vitaminreiche Ernährung, ausreichend Wasser). Wenn du nur noch damit beschäftigt bist, deinen Körper zu optimieren, spricht das für ein zu viel. Warum? Weil dann in der Regel der Genuss, die Leichtigkeit und auch die Selbstannahme flöten gegangen ist.
4. Selbstakzeptanz und Selbstmitgefühl
Wenn du dich ständig selbst kritisierst, dich nicht so annimmst, wie du bist und nicht nachsichtig mit dir sein kannst, wenn dir ein Fehler passiert oder du deinen Ansprüchen nicht genügst, hast du zu wenig davon. Wirst du blind für deine Schwächen und hörst vor lauter Selbstakzeptanz auf, an dir zu arbeiten und kritische Rückmeldungen auch ernst zu nehmen, übertreibst du es. Ebenso, wenn du Selbstmitgefühl („wohlwollend mit sich sein“) missverstehst und Selbstmitleid („ich Arme“) wird.
5. Selbstwert und Selbstvertrauen
Ohne oder mit zu wenig Selbstwertgefühl vertraust du nicht auf deine Stärken und Talente. Du wirst auch nicht für deine Bedürfnisse einstehen und deswegen viel häufiger „Ja“ zu Dingen sagen, zu denen du eigentlich nein sagen solltest oder deine Meinung nicht vertreten. Zu viel davon hast du, wenn du deine Meinung über die von anderen stellst und denkst, ihre Bedürfnisse zählen weniger als deine. Oder wenn du von dir und deinen Eigenschaften oder Stärken so sehr überzeugt bist, dass du dir Rückmeldungen von anderen nicht wirklich mehr zu Herzen nimmst und wenigstens darüber nachdenkst.
6. Achtsamkeit
Zu wenig Achtsamkeit heißt, du bist mit deinen Gedanken mehr in der Vergangenheit oder in der Zukunft als im gegenwärtigen Moment. Ich weiß nicht, ob es in der Reinform von Achtsamkeit wirklich ein zu viel geben kann. Pragmatisch vielleicht, wenn du durch deine Achtsamkeit plötzlich so langsam wirst, dass du mit deinem Leben nicht mehr Schritt halten kannst, weil der achtsame Abwasch, das achtsame Duschen, das achtsame Gespräch, das achtsame Schuhe anziehen usw. so lange dauern. Aber ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns das hinbekommt. Also zu viel Achtsamkeit gibt es vermutlich nicht.
7. Positive Beziehungen
Wenn du keine Zeit für die dir wichtigen Menschen hast, deine Beziehungen nicht pflegst, dich nicht bewusst mit Menschen umgibst, die dich unterstützen, dir gut tun und dich inspirieren oder zu stark mit solchen, die dich runterziehen, dann spricht das für zu wenig Selbstfürsorge in diesem Feld. Zu viel ist es, wenn du zur Klette mutierst oder allen potenziellen Energieräubern und Konflikten panisch aus dem Weg läufst, damit du weiter positiv gestimmt bist.
8. Erfüllende Tätigkeiten
Sobald du weder im Job noch in der Freizeit deine Stärken auslebst, wenn Flow-Momente in deinem Leben rar geworden sind oder wenn du aufgehört hast, zu träumen, spricht das für zu wenig Selbstfürsorge. Wenn du glaubst, dass du in jeder Tätigkeit Erfüllung finden und deine Leidenschaft spüren musst, nicht auch mal eine Durststrecke überstehen kannst oder permanent mit Alltagsaufgaben haderst, spricht das für eine Überbewertung dieses Aspekts deiner Selbstfürsorge.
Die Selbstfürsorge-Schieberegler
Konntest du an den acht Aspekten der Selbstfürsorge erkennen, ob du dich gerade gut und „im rechten Maß“ um dich kümmerst? Vielleicht ist es bei manchen Aspekten zu wenig, bei anderen zu viel und bei wieder anderen genau richtig?
Denk deine Selbstfürsorge so als gäbe es einen Schieberegler. Du kannst jederzeit wie bei einem Radio die Lautstärke oder am Herd die Temperatur hoch oder runter stellen. Genau so kannst durch kleine Veränderungen in deinem Verhalten deine Selbstfürsorge auf die richtige Dosis bringen und immer wieder auf das anpassen, was du gerade brauchst.
Wenn dir das nächste Mal egoistisch vorkommt, was du machst, dann denk an den Schieberegler und ziehe die Möglichkeit in Betracht, dass du gerade in Wirklichkeit zu wenig Selbstfürsorge betreibst, weil du dich zu wenig schätzt…
Lass mich in den Kommentaren wissen, bei welchen Aspekten der Selbstfürsorge dein Schieberegler schon im richtigen Bereich sind, und wo du noch ein wenig hoch oder runter schalten solltest.
Selbstfürsorge ist (d)ein Thema?
Kennst du schon die Artikelserie “Ich denk an mich!” voller Strategien und Inspirationen für mehr Selbstfürsorge? In Teil 1 lernst du, warum Selbstfürsorge so wichtig ist und welche wissenschaftlich bewiesenen Vorteile es hat, aktiv für dich selbst zu sorgen. In Teil 2 erfährst du, wieso echte Selbstfürsorge mehr ist als ein Bad zu nehmen und wie Selbstfürsorge im Alltag aussehen kann. In Teil 3 lernst du, wie du dich besser abgrenzen und Nein sagen kannst – und zwar ohne ein schlechtes Gewissen. Da klar ist, dass die meisten von uns wenig Zeit haben, liefert dir Teil 4 Inspirationen für kleine Selfcare-Momente, die du ganz leicht und spielerisch in deinen Alltag integrieren kannst. Selbstfürsorge to go eben! In Teil 5 zeige ich dir schließlich, wie es dir gelingt, dich selbst freundlicher und mitfühlender zu behandeln.
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