Krisenzeiten bedeuten häufig erstmal Gefühlschaos oder Überforderung. Umso wichtiger ist es, dass du deine Gefühle bewusst steuern kannst. In diesem Artikel zeige ich dir, wie du deine Gefühle effektiv regulierst und dadurch deine psychische Widerstandskraft ausbaust. Damit du nicht geschwächt, sondern gestärkt aus dieser Krise hervorgehst.
Schwierige Zeiten lassen dich Entschlossenheit und innere Stärke entwickeln
Was du dafür brauchst? Nichts.
Besser gesagt: nichts, was nicht bereits in dir steckt. Denn Resilienz, also deine psychische Widerstandskraft, umfasst vor allem deine innere Haltung und die Fähigkeit, deine Ressourcen zu erkennen und einzusetzen.
Dazu gehört auch die Fähigkeit, deine Emotionen bewusst zu steuern und gezielt positive Gefühle zu erzeugen. Das ist ein wichtiger Resilienzfaktor, den du gezielt stärken kannst [1, 2].
Und hey, wann lässt es sich das besser trainieren als in einer realen Krisensituation?
Bevor es losgeht, einmal Hand aufs Herz: Wie sieht es emotional gerade bei dir aus?
- Hast du Angst oder Sorge, weil du nicht weißt, wie es die nächste Zeit beruflich für dich weitergeht?
- Bist du wütend oder enttäuscht, weil deine Pläne für den nächsten Urlaub oder die anstehende Geburtstagsfeier durchkreuzt wurden?
- Fühlst du dich innerlich angespannt und reagierst gereizt, ohne dass du sagen kannst, warum?
Kommen dir diese Gefühle bekannt vor?
Wenn ja: Deine negativen Gefühle sind ganz normal und haben ihre Daseinsberechtigung.
Schließlich wird deine Welt gerade ziemlich auf den Kopf gestellt. Und damit bist du nicht alleine.
Viele Menschen in deinem Umfeld, im Grunde Menschen weltweit, machen gerade ähnliche Erfahrungen und empfinden Unsicherheit, Hilflosigkeit, Angst, Trauer oder Wut.
Es ist ok, dass du diese Gefühle hast. Diese Gefühle zu unterdrücken oder dich (bzw. andere) dafür zu verurteilen, bringt dich nicht weiter.Wie aber gehst du mit diesen Gefühlen um, ohne dich vollkommen von ihnen wegtragen zu lassen? Das zeige ich dir jetzt!
Fördere deine Widerstandskraft durch den richtigen Umgang mit deinen Gefühlen
Der erste Schritt: Deine Gefühle fühlen und ihnen einen Namen geben
Nimm dir einen kurzen Moment Zeit und versuche, deine negativen Gefühle bewusst wahrzunehmen.
- Sei bereit, deine negativen Gedanken und Emotionen mit Offenheit und Neugierde zu betrachten.
- Vielleicht hilft es dir für den Anfang, dir das Ganze bildlich wie mit einer Lupe im Biologie-Unterricht vorzustellen.
Benenne, was du gerade empfindest. Vervollständige innerlich den Satz:
- „Heute fühle ich mich … (z.B. verunsichert, einsam, gereizt, unter Druck gesetzt, neidisch, ignoriert, enttäuscht, entmutigt)“ oder
- „Zurzeit habe ich … (z.B. ein Gefühl der Hilflosigkeit, Zurückweisung, Frustration, Angst, Überforderung, Eifersucht)“
Wieso ist das so wichtig?
Ganz einfach: Steckst du mitten in einer Krise oder einer stressauslösenden Situation, vergisst du leicht, dass …
- du nicht aus diesen Gefühlen bestehst, die dich momentan zu überwältigen scheinen,
- dich viel mehr ausmacht und du mehr bist als nur Unsicherheit, Angst oder Wut,
- und vor allem: dass deine Gefühle kommen und wieder gehen
Daher gilt: Wenn du deine Emotionen zukünftig besser regulieren möchtest, versprachliche sie.
Oder, um es in den Worten von Daniel Siegel, einem Professor der Universität Kalifornien, auszudrücken: „Name It to Tame It“ (sinngemäß: „Benenne es, um es zu zähmen.“)
Auch wenn du deine Gefühle als sehr mächtig empfindest, hast DU in der Hand, wie du mit ihnen umgehst.
Ich möchte dir das an zwei Beispielen veranschaulichen:
- Statt „Ich bin verunsichert“ stelle ich fest „Ich fühle mich zurzeit unsicher“.
- Oder statt „Ich bin ängstlich“ sage ich „Ich habe gerade Angst“.
Sprich die Sätze einmal laut aus.
Spürst du den Unterschied? Ich hoffe, schon.
Wichtig bei diesem Schritt ist, dass du deine Gefühle aufmerksam wahrnimmst (und klar benennst), sie aber nicht bewertest.
Sich ärgerlich, ängstlich, besorgt, neidisch oder überfordert zu fühlen, ist nicht schlecht. Das sind ganz normale Gefühle. Sie sind sicher unangenehmer, aber eben nichts „Schlechtes“. Denn sie zeigen dir einfach nur an, was du gerade brauchst. (Was ich damit meine, habe ich in diesem Artikel zur „Kraft der negativen Gefühle “ erklärt.)
Versuche deine Gefühle in einer Forscherhaltung (ja, wie Indiana Jones – nur für Gefühle!) zu betrachten. Geh auf Spurensuche, wann du dieses Gefühl empfindest und was es für dich bedeutet.
- Zum Beispiel „Ich fühle mich zurzeit unsicher, weil ich nicht weiß, wie lange die Ausgangsbeschränkungen noch anhalten.“
- Oder „Ich habe gerade Angst, weil ich befürchte, dass sich meine Mutter mit dem Virus anstecken könnte.“
Pro-Tipp: Füge kleine Worte wie „zurzeit“ oder „gerade“ ein, wenn du deine Gefühle beschreibst und ihren Grund erforschst.
Damit signalisierst du dir selbst, dass deine Gefühle nur vorrübergehend, also nichts anderes als eine Momentaufnahme sind. (Das ist die Basis für einen selbstmitfühlenden Umgang und der Unterschied zu Selbstmitleid.)
Du kannst diese Sätze jederzeit in deinem Kopf formulieren oder laut aussprechen. Oder du setzt dich an den Küchentisch und schreibst sie auf. Das geht natürlich auch abends vor dem Einschlafen beim Tagebuch schreiben.
Was bringt es dir für deine Widerstandskraft, deine Gefühle zu benennen?
Du kannst dich von deinen Gefühlen loslösen
Deine Gefühle bewusst wahrzunehmen und zu benennen hilft dir,
- dich von ihnen zu lösen,
- einen Schritt zurück zu treten und
- eine neue Perspektive einzunehmen.
Mit der Aussage „Ich fühle mich …“ kannst du deine Gefühle anerkennen, ohne davon vereinnahmt zu werden. Damit gehst du bereits einen wichtigen Schritt auf deinem Weg zu mehr Widerstandskraft und einem guten Umgang mit Krisensituationen.
Hirnforschung: Das Benennen von Gefühlen entspannt dein Gehirn
Auch die Hirnforschung bestätigt diesen Weg.
- Du kannst den Teil deines Gehirns „deaktivieren“, der für deine Stressreaktion verantwortlich ist, indem du deine Gefühle benennst.
- Zugleich aktivierst du dadurch den Teil deines Gehirns stärker, der dich wieder klar und logisch denken lässt [3].
- Das hilft dir, rationale Entscheidungen zu treffen und nach Lösungen zu suchen.
Du siehst: Deinen Gefühlen einen Namen zu geben, wirkt wie ein Temperaturregler auf deine Stressreaktion. Es hilft dir, dich zu entspannen und deine Gefühle ins Gleichgewicht zu bringen.
Du kannst deine Gefühle leichter aushalten
Sobald du weißt, um welches Gefühl es sich handelt, fällt es dir leichter, es auszuhalten.
Stell dir die folgende Situation vor: Du freust dich seit Ewigkeiten auf das Konzert deiner Lieblingsband. Nun fällt es aufgrund der gegenwärtigen Krise natürlich aus. Vielleicht fühlst du dich jetzt enttäuscht, traurig, machtlos oder verärgert. Das ist absolut ok und nachvollziehbar.
Nimmst du dir in dieser Situation einen Moment Zeit und benennst deine Gefühle, wie z.B. „ich fühle mich gerade enttäuscht, weil ich mich seit Monaten auf das Konzert gefreut habe…“
- nimmst du deinen Gefühlen die Macht über dich,
- lässt deine innere Anspannung nach und
- kannst du in Ruhe überlegen, wie du trotzdem einen coolen Abend hast oder dir stattdessen was Gutes tun kannst.
Der Abend ist dann nicht so gelaufen, wie geplant. Trotzdem gelingt es dir viel leichter, mit deinen aufkommenden Gefühlen umzugehen, weil DU diejenige bist, die am Steuer sitzt.
Unangenehme Gefühle zuzulassen, ist am Anfang gar nicht so leicht. Wie jedes Training erfordert es Zeit und konsequente Übung, um Fortschritte zu erzielen und deine Widerstandskraft zu fördern .Aber du wirst sehen, mit der Zeit wird es dir viel besser gelingen, deine negativen Gefühle zu benennen und sie auszuhalten.
Positive Gefühle erhöhen deine Widerstandskraft
Du möchtest noch einen Schritt weiter gehen?
Deine innere Widerstandskraft stärkst du, indem du deine Gefühle benennst und sie dadurch regulierst. Wieder Herr, oder besser gesagt, Frau deiner Emotionen zu werden, bedeutet jedoch auch, Positives in deiner Umgebung, in deinem Alltag wahrzunehmen und bewusst angenehme Gefühle herbeizuführen.
Das heißt, …
- sich darüber zu freuen, dass du heute Abend gemeinsam mit deiner Familie oder deinem Partner zu Abend essen wirst.
- bei deinem Spaziergang zu bemerken, dass draußen alles anfängt, zu blühen oder die Sonnenstrahlen im Gesicht zu genießen.
- dankbar zu sein für das unterhaltsame Gespräch mit einer Freundin oder den kurzen Austausch mit einer Nachbarin.
Deine Gefühlswelt ins Gleichgewicht bringen
So banal es auf den ersten Blick erscheinen mag: Wenn du beginnst, alltäglichen Ereignissen eine positivere Bedeutung beizumessen, kann das dein Stressempfinden ordentlich reduzieren.
Denn positive Gefühle haben die einzigartige Fähigkeit, negative Gefühle abzupuffern.
Dieser Effekt wird in der Positiven Psychologie als „Undoing-Effekt“ bezeichnet [4].
Positive Ereignisse schaffen oder gewöhnliche Ereignisse positiver interpretieren, um die Krise abzufedern
Die amerikanische Psychologin und Professorin für Medizin Susan Folkman hat 1997 in einer Langzeitstudie pflegende Angehörige von AIDS-Patienten und ihren Umgang mit anhaltendem Stress untersucht [5]. Wenig überraschend haben die Teilnehmenden beinahe durchgehend mit einer hohen Belastung und vielen Sorgen und Verzweiflung gekämpft.
Dennoch haben einige von ihnen immer wieder positive Erlebnisse für sich eingeplant und diesen eine positive Bedeutung (z.B. Dankbarkeit für Treffen mit Freunden) beigemessen. Das gleiche galt auch für zufällige Ereignisse (wie z.B. einen Sonnenuntergang genießen).
Diese Strategie hat sich trotz ihrer belastenden Situation positiv auf den emotionalen Zustand dieser Angehörigen ausgewirkt und ihnen dabei geholfen, ihre innere Stärke wiederaufzubauen.
Das Erleben von positiven Emotionen ist zunächst kurzfristig.
Doch wie deine Muskeln stärker werden, wenn du sie trainierst, förderst du dein Wohlbefinden und deine Widerstandskraft, wenn du positive Emotionen im Alltag bewusst wahrnimmst oder aktiv herbeiführst. In diesem Artikel zeige ich dir die 10 wichtigsten positiven Gefühle für mehr Lebensfreude und Wohlbefinden.
Der Bonus: Positive Emotionen begünstigen kreatives Problemlösen
Erzeugst du gezielt positive Gefühle, fühlst du dich nicht nur besser, sondern kannst dich auch wieder auf deine Ziele konzentrieren oder nach neuen Ideen und Perspektiven suchen.
Mir macht es beispielsweise unglaublich Spaß, wenn ich zwischendurch die Musik laut aufdrehe und ausgelassen tanze. Danach bin ich gleich viel konzentrierter und kann wieder produktiv und mit frischem Blick an meinen Aufgaben weiterarbeiten.
Plus: Positive Gefühle helfen dir, deinen Tunnelblick aufzugeben, neue Handlungsmöglichkeiten zu ergreifen und abwechslungsreiche Aktivitäten, sei es im Bereich Sport, im Freundeskreis oder im privaten Freizeitbereich zu testen. Und das fühlt sich dann gleich doppelt gut an.
Positive Gefühle sind keine Glückssache
Wie kommst du zu mehr positiven Gefühlen und damit zu mehr Widerstandskraft?
Eine Sache ist offensichtlich: Mach Dinge, die dir Freude schenken, dein Herz zum Hüpfen bringen, dich begeistern. Zum Beispiel das Abendessen mit deinem Partner oder der Spaziergang im Park.
Es gibt auch eine weniger offensichtliche Möglichkeit, für die du noch nicht mal gezielt irgendwas tun musst. Nämlich die Steuerung deiner Aufmerksamkeit.
Du allein entscheidest vor, während und nach jedem Ereignis, worauf du deine Aufmerksamkeit richtest. Die Forschung ist sich in dieser Sache absolut einig: Das bewusste Steuern deiner Aufmerksamkeit hilft dir, deine positiven Gefühle zu verstärken [2].
Richte dein Spotlight auf positive Dinge
Lass mich dir an den oben genannten Beispielen verdeutlichen, wie du deine Aufmerksamkeit bewusst steuern kannst:
- Vor der tatsächlichen Erfahrung kannst du durch die Vorfreude auf das Abendessen deine Stimmung positiv beeinflussen. Im Idealfall kannst du versuchen, dir bildlich vorzustellen, wie der Abend verlaufen wird, um diesen Effekt noch zu verstärken.
- Während deiner Erfahrung, d.h. bei deinem Spaziergang kannst du die Aufmerksamkeit bewusst auf kleine Details in der Umgebung und auf angenehme Empfindungen richten. Atme tief ein, genieße den Moment, in dem du dich befindest und teile durch ein Lächeln deine positiven Emotionen nach außen mit.
- Nach dem Telefonat mit deiner Freundin kannst du dir die schönsten Momente nochmal in Erinnerung rufen oder der Freundin deine Dankbarkeit ausdrücken. Das innerliche Wiederholen vergangener Ereignisse ist eine besonders hilfreiche Strategie, um positive Gefühle im Hier und Jetzt zu fördern.
Stelle dir Krisenzeiten wie eine große Folge an emotionalen Wellen vor
Es wird mit Sicherheit noch eine Menge Veränderungen in nächster Zeit oder schwierige Situationen in deinem Leben geben, die bei dir das ein oder andere negative Gefühle auslösen werden. Klingt erstmal beunruhigend, ich weiß.
Doch genau in diesen Zeiten kannst du auf deine innere Widerstandskraft bauen. Mit der ersten Strategie, d.h. indem du deine aufkommenden Gefühle benennst, bist DU diejenige, die entscheidet: Willst du von einer „heißen Welle“ an Emotionen nach der anderen weggerissen werden oder lieber ruhig und gelassen, sprich „cool“ auf diesen Wellen durch die Krise surfen?
Du hast das Zeug zur Krisenmeisterin!
Abschließend möchte ich noch den Dalai-Lama zitieren: „Wer alles mit einem Lächeln beginnt, dem wird das Meiste gelingen.“ Das gilt auch für dich und deinen Umgang mit stressauslösenden Situationen und Krisenzeiten.
Also: Schau dich um, was du an positiven Dingen in deinem Alltag entdecken kannst oder überleg, was dir heute schon ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hat. Rufe dir genau dieses Gefühl noch einmal in Erinnerung.
Vergiss nie: Ein Großteil dessen, was du brauchst, um diese Krise zu meistern, steckt bereits in dir!
Schreib mir in die Kommentare!
- Was war in diesem Artikel wichtig oder neu für dich?
- Hast du bereits Erfahrungen mit einer der beiden Strategien gemacht?
- Name It to Tame It: Bist du bereit, es auszuprobieren? – Wie fühlst du dich gerade?
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Quellen
[1] Emotionsregulationsstrategien, die deine Widerstandskraft fördern: Tugade, M. M., & Fredrickson, B. L. (2007). Regulation of positive emotions: Emotion regulation strategies that promote resilience. Journal of happiness studies, 8(3), 311-333.
[2] Positive Gefühle durch wirksame Emotionsregulationsstrategien herbeiführen: Quoidbach, J., Mikolajczak, M., & Gross, J. J. (2015). Positive interventions: An emotion regulation perspective. Psychological bulletin, 141(3), 655.
[3] Das Benennen von Gefühlen beruhigt dein Gehirn: Creswell, J. D., Way, B. M., Eisenberger, N. I., & Lieberman, M. D. (2007). Neural correlates of dispositional mindfulness during affect labeling. Psychosomatic medicine, 69(6), 560-565.
[4] Der Undoing-Effekt deiner positiven Gefühle: Fredrickson, B. L., Mancuso, R. A., Branigan, C., & Tugade, M. M. (2000). The undoing effect of positive emotions. Motivation and emotion, 24(4), 237-258.
[5] Positive Gefühle trotz langanhaltender und belastender Umstände: Folkman, S. (1997). Positive psychological states and coping with severe stress. Social science & medicine, 45(8), 1207-1221.