Sie ist sauer. Er hat sich schon wieder nicht an eine Vereinbarung gehalten. Sie beschwert sich, macht ihm Vorwürfe. Er geht in die Verteidigungshaltung und versucht, sich zu erklären. Als er das Gefühl hat, sie hört ihm überhaupt nicht zu, wird auch er richtig wütend. Wirft ihr Dinge an den Kopf, die er nicht so toll an ihr findet.
Das vorläufige Ende dieses Streits kannst du dir sicherlich vorstellen: Laut schimpfend verlassen beide den Raum und knallen die Türen hinter sich zu.
Kommt dir solch eine Konflikt- und Streitkultur so oder in leicht abgewandelter Form bekannt vor? In der jeder versucht, seine eigene Meinung und Ansicht durchzuboxen, man immer wütender bzw. emotionaler wird, weil der andere einen nicht verstehen will?
Vielleicht hast du am eigenen Leib schon mal gespürt, dass es dabei nur Verlierer gibt. Denn ihr seid der Lösung des Konfliktes oder des Problems keinen Schritt näher gekommen. Zum anderen – und das ist fast noch schlimmer – geht es euch beiden danach echt bescheiden. Dabei wollte keiner von euch den anderen mit bösen Beschuldigungen verletzen.
Doch wie kann es passieren, dass sich ein ganz normales Gespräch derart hochschaukelt und dass es in einem Streit oder einer unschönen Auseinandersetzung endet?
Was kannst du tun, um Konflikte, die da sind, erfolgreich zu lösen?
So dass beide Parteien gut damit leben können und die Harmonie in eurer Beziehung nicht ruiniert wird?
Darum soll es in diesem Artikel gehen. Ich werde dein Verständnis von Konflikten gehörig auf den Kopf stellen, sodass du Auseinandersetzungen nicht mehr scheust, sondern künftig begrüßen wirst. Ich gebe dir ein Modell und praktische Handlungsanleitungen an die Hand, mit denen du Konflikte souverän lösen kannst.
Damit du von nun an konstruktiv mit Problemen und Streitereien umgehst. Und zwar mit allen Arten. Neben den „klassischen“ Diskussionen zu zweit erwarten dich auch ultimative Tipps dazu, was du tun kannst, wenn jemand anderes in Schwierigkeiten steckt – oder aber du selbst.
Ich verspreche dir, dass du nach dem Lesen des Artikels weißt, wie du dafür sorgst, dass Auseinandersetzungen nicht immer trennend, sondern verbindend und beziehungsstärkend wirken.
Konflikte sind per se nichts Schlechtes!
Konflikte haben zu Unrecht einen schlechten Ruf.
Ein Konflikt, bedeutet zunächst nichts anderes als dass zwei (oder mehr) Personen unterschiedliche Bedürfnisse oder Interessen haben und dass sie sich über diese verschiedenen Bedürfnisse oder Interessen nicht leicht einigen können.
Das als solches ist ja nun kein Wunder oder etwas Ungewöhnliches. Oder überrascht es dich wirklich ernsthaft, dass verschiedene Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben?
Wir Menschen sind verschieden. Wir denken, fühlen und handeln auf unsere ganz individuelle Art und Weise. Jeder lebt sozusagen in seiner eigenen kleinen Welt. Je unterschiedlicher diese sind, desto heftiger werden sie aufeinanderprallen.
Es ist mir also wichtig, dass du Konflikte nicht als „negativ“, „schlecht“, „will ich nicht haben“ abstempelst, sondern sie als normal und sie als unvermeidliche Konsequenz des Aufeinandertreffens von Menschen ansiehst.
Und sogar als Konsequenz, an der du wachsen und aus der du etwas lernen kannst.
Aber nur, wenn du bereit bist, genauer hinzuschauen. Auf das, was wirklich dahinter steckt. Unter der obersten Schicht, bei der man sich über unterschiedliche Positionen streitet und dem anderen seine Meinung aufzwängen will. Wenn du einen Schritt tiefer gehst, erkennst du die wirklich dahinterliegenden Interessen und Bedürfnisse. Um was es dem anderen – und dir – wahrhaftig geht. Wenn du diese mit ins Boot nimmst, kann aus jedem vermeintlichen Streit ein konstruktives und erfüllendes Gespräch werden.
Entscheidend ist also der Umgang mit Konflikten.
Die gute Nachricht: der ist lehr- und lernbar.
Die ersten beiden wichtigen Lektionen hast du bereits kennengelernt:
1.) Du musst die Tatsache anerkennen, dass Menschen grundsätzlich verschieden sind.
2.) Es ist wichtig, dass du diesem grundsätzlichen Anderssein der anderen Respekt, Akzeptanz und Offenheit entgegenbringst.
Wie sieht ein erfolgreicher Umgang mit Konflikten in der Praxis aus?
Dafür ist es wesentlich, bestimmte „Regeln“ bzw. besser gesagt Tipps bezüglich des Umgangs miteinander zu beachten.
Das, was ich dir nun empfehle, basiert auf den Überlegungen des amerikanischen Psychologen Thomas Gordon für eine fairere Kommunikation und Konfliktbewältigung. Erstmals veröffentlicht hat Thomas Gordon sein Konflikt-Lösungsmodell in den 1970er in seinem Buch „Familienkonferenz: Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind“. Das Buch ist mittlerweile fast eine halbe Million mal verkauft und wiederholt neu aufgelegt und überarbeitet worden.
Wie du angesichts des Titels sicherlich richtig vermutest, war seine ursprüngliche Absicht, die Eltern-Kind-Kommunikation zu verbessern. Doch sowohl der Autor selbst als auch die Leser erkannten ziemlich schnell, dass es sich auch auf andere Beziehungsformen übertragen lässt. Ob im privaten oder beruflichen Bereich.
Sein Ansatz: Du lernst für die Erfüllung deiner eigenen Bedürfnisse einzutreten OHNE über den anderen hinwegzugehen. Gegenseitige Achtung und einfühlsames Zuhören und Sprechen macht es möglich, Konflikte kreativ und zur Zufriedenheit von allen Beteiligten zu lösen.
Klingt vielversprechend, oder? Also ran an die Praxis.
Zum Start: Verhaltensfenster – wissen, wo das Problem liegt
In einem erstem Schritt schlägt Thomas Gordon vor, sich über die Art und Weise des Konfliktes bewusst zu werden. Dafür hat er das Konzept des Verhaltens-Fensters entwickelt, das du als übergeordnetes Raster eines jeden Konfliktes sehen kannst.
Denn welches Kommunikationswerkzeug wann sinnvoll ist, hängt ganz von der Situation ab. Um zu entscheiden, was angemessen ist, ist es essentiell, dass du erkennst, wer von euch beteiligten Personen das Problem besitzt.
Das Verhaltensfenster gibt dir drei verschiedene Zustände zur Einordnung des Konfliktes:
1.) Der Andere hat ein Problem.
Im ersten Fall bist du nicht direkt von einem Problem betroffen. Du kannst aber wahrnehmen, dass jemand anderes ein Problem hat.
Zur Veranschaulichung ein paar Beispiele:
- Deine Arbeitskollegin erzählt dir, dass sie sich von eurem Chef ungerecht behandelt fühlt.
- Deine Tochter ist durch die Führerscheinprüfung gefallen.
- Einer Freundin wurde völlig überraschend gekündigt.
2.) Ich habe ein Problem.
In dieser Kategorie hast du selbst ein Problem, das dich verletzt und dich mitnimmt. Das kann auch an Verhaltensweisen von anderen liegen.
Wenn zum Beispiel…
- … dein Arbeitskollege beim Erledigen seiner Arbeit trödelt und alles an dir hängen bleibt.
- … dein Partner dich im Haushalt trotz eingeführtem Haushaltsplan und klaren Regeln nicht unterstützt.
- … deine Mutter darauf besteht, dass du jede Woche vorbeischaust, du dafür aber eigentlich keine Zeit hast
3.) Wir haben ein Problem/ einen Konflikt.
In die letzte Kategorie fällt all das, das du wahrscheinlich am ehesten als einen Streit bezeichnen würdest. Sie trifft immer dann zu, wenn ihr offensichtlich anderer Meinung seid und nicht so einfach auf einen gemeinsamen Nenner kommt.
Beispielsweise wenn…
- … du dich mit deinem Partner nicht einigen kannst, was euer nächstes Urlaubsziel sein soll.
- … sowohl du als auch dein Kollege ein Projekt übernehmen wollt, das aber nur von einer Person geleitet werden kann.
- … du deiner 16-jährigen Tochter verbietest, nach Mitternacht unterwegs zu sein, sie aber darauf beharrt, länger bleiben zu wollen.
Dein Partner hat eine wichtige Abschlussprüfung vermasselt.Ich empfehle dir deshalb im ersten Schritt, wenn ein Problem bei oder zwischen dir und anderen auftaucht, eine derartige gedankliche Einteilung vorzunehmen. Denn so erhältst du Klarheit und kannst im nächsten Schritt der jeweiligen Situation angemessen handeln.
Dabei geht es weniger darum, eine „eindeutige“ Entscheidung zu treffen. Denn ganz häufig finden sich in einem Konflikt mehrere Kategorien wider bzw. er mündet im Verlauf vom einen in den anderen Zustand. Wie in unserem Eingangsbeispiel, in dem eigentlich zuerst lediglich die Dame ein Problem hatte, da ihr Partner sich nicht an getroffene Vereinbarungen hält. Durch die ungünstige Kommunikation zwischen den beiden wurde daraus aber ein Konflikt.
Und so solltest du auch die verschiedenen Konfliktlösungswerkzeuge verstehen, die ich dir jetzt vorstelle. Es ist nicht so, dass eine Methode nur auf eine der obigen Kategorien passt. Vielmehr sind es allgemeine Kommunikationsanleitungen, die dir ehrlich gesagt IMMER in deinem Alltag helfen. Trotzdem lässt sich feststellen, welche Technik bei welchem Konfliktzustand am wirkungsvollsten ist. Und es hilft dir auch einfach, wenn du für dich im Kopf klar hast, um was es hier eigentlich geht.
Was tun bei den verschiedenen Konfliktarten?
1.) Wenn der andere ein Problem hat – aktives Zuhören
In der zwischenmenschlichen Kommunikation geht es darum, zu verstehen und verstanden zu werden.
– Thomas Gordon
Liegt das eigentliche Problem (noch) nicht bei dir, sondern bei jemand anderem, ist es wichtig, dem anderen das Gefühl zu geben, dass du ihm oder ihr gerne und bewusst zuhörst.
Dir Zeit für das Zuhören nimmst und damit signalisierst, dass die Person erzählen kann, was immer sie möchte. Um Weichen für ein gutes Gespräch zu stellen und mehr über Gedanken und Gefühle deines Gegenüber zu erfahren, kannst du sogenannte Türöffner benutzen: Beanspruche selbst den kleineren Redeanteil. So kann der andere sich öffnen. Zeige mit kleinen Aufmerksamkeitsreaktionen („oh“, „mhm“, „verstehe“) dass du ihm oder ihr aufmerksam folgst.
Lass mich dir das kurz an einem der obigen Beispiele demonstrieren.
Nehmen wir an, deine Tochter ist durch die praktische Führerscheinprüfung gefallen. Du weißt, dass sie vorher total aufgeregt war und natürlich unbedingt bestehen wollte. Als sie nach der durchgefallenen Prüfung heimgekommen ist, war sie sehr distanziert und wollte nicht darüber sprechen. Sie hat so getan, als ob es ihr nichts ausmacht. Doch du hast genau gespürt, dass es unter der Oberfläche brodelt und bröckelt.
Du möchtest deshalb nochmal nachhaken und gehst in ihr Zimmer. Wenn du sie zum Reden bringen möchtest, vermeide geschlossene Fragen.
„Wie lange bist du gefahren?“ ist beispielsweise eher ungünstig, da sie dir höchstwahrscheinlich nur eine Zahl nennen wird.
Besser sind offene Fragen/Aussagen: „Erzähl mir doch mal von Anfang an, wie die Prüfung abgelaufen ist.“ , „Wie hast du die Prüfungssituation erlebt?“, „Was ging während der Prüfung in dir vor?“, „Und was denkst und fühlst du jetzt?“
Mit solchen Türöffnern gibst du deiner Tochter die Möglichkeit, alles darüber zu sagen, was sie sagen möchte. Mit Aufmerksamkeitszeichen und mitfühlendem, geduldigem Blick schaffst du einen guten Rahmen, wo sich deine Tochter trotz des unangenehmen Gesprächsthemas wohl und gesehen fühlen wird.
Trotzdem gibst du durch das erste Zuhören deinem Gegenüber noch nicht automatisch das Gefühl, verstanden worden zu sein.
Deshalb gibt’s die wunderbare Technik des aktiven Zuhörens. Dabei machst du von zwei verschiedenen Reaktionsweisen Gebrauch: dem Paraphrasieren und Verbalisieren.
Paraphrasieren bedeutet, dass du als Zuhörer versuchst, die Kernaussage deines Gegenübers zu erfassen und ihm oder ihr dies dann mit deinen eigenen Worten zurück zu melden. So stellst du sicher, dass ihr nicht aneinander vorbeiredet und keine Missverständnisse auftreten.
Beim Verbalisieren gehst du noch einen Schritt weiter und versuchst, die Gefühle, die dein Gegenüber durch das Gesagte vermittelt bzw. ausdrückt, herauszufiltern und dann zu spiegeln.
Wieso?
Weil hinter den Gefühlen und Bedürfnissen des anderen das steckt, worum es eigentlich geht. Wenn du und insbesondere der Problembesitzer klar hat, welches verletzte Bedürfnis hinter seinem Anliegen steckt, ist mehr als die Hälfte in Richtung Problemlösung schon getan.
Ich gebe zu, dass das richtig schwierig sein kann. Je nachdem wie offen bzw. eindeutig dein Gesprächspartner ist. Falls dir das mit den Bedürfnissen herausfinden sehr weit weg vorkommt, schau doch mal in diesen Artikel hier. Da habe ich das ausführlich für dich beschrieben.
Am Anfang ist das sicherlich noch etwas herausfordernd für dich, aber je öfter du es anwendest, desto einfacher und natürlicher wird es.
Um dir den Einstieg zu erleichtern, möchte ich dir ein paar Satzanfänge mit an die Hand geben.
Für das Paraphrasieren:
- „Das heißt also, dass…“
- „Verstehe ich richtig, dass…“
- „Stimmt es, dass…“
- „Ich höre, du…“
Für das Verbalisieren:
- „Vielleicht fühlst du…“
- „Ist es möglich, dass du dich… fühlst?“
- „Trifft es zu, dass du …fühlst?“
- „Ich habe den Eindruck, dass das für dich…“
Schauen wir uns an, wie das im Beispiel mit der Tochter und der durchgefallenen Führerscheinprüfung aussehen könnte:
Tochter: „Es war einfach nur scheiße. Der Prüfer war ein Arsch und ich hab ein einziges Mal den Schulterblick vergessen. Schon war ich durchgefallen. Und jetzt muss ich das Ganze nochmal machen. Allein wenn ich daran denke, könnte ich davonlaufen. Was ist, wenn ich‘s beim zweiten Mal schon wieder nicht schaffe? Ich glaube, ich bin ein hoffnungsloser Fall.“
Wenn die Mutter das Paraphrasieren anwendet, könnte sie beispielsweise sagen:
„Verstehe ich es richtig, dass du durch die Prüfung gefallen bist, weil du einmal den Schulterblick vergessen hast?“ oder
„Ich höre, dass du dir insbesondere Sorgen wegen der zweiten Führerscheinprüfung machst. Dass du befürchtest, erneut durchzufallen. Und nie den Führerschein bekommen wirst, stimmt das?“
Beim Verbalisieren würde sie noch stärker auf die Gefühle ihrer Tochter eingehen:
„Du bist wütend auf den Prüfer? Vielleicht bist du aber eher enttäuscht von dir selbst? Oder schämst dich dafür? Ich habe den Eindruck, dass du Angst hast vor der nächsten Führerscheinprüfung und dass du das Passierte als dein Versagen betrachtest. Ist es möglich, dass du an dir und deinen Fähigkeiten zweifelst und dich selbst stark kritisierst und unter Druck setzt?!“
Mach dem anderen keine Lösungsvorschläge.
Eigentlich ist es einfach zu verstehen: nur diese Person hat die zugehörigen negativen Gefühle und Gedanken. Und auch nur sie kann die für sie passendste Problemlösung entwickeln.
Alles andere ist ein Überstülpen von deiner Meinung und Erfahrung, die nicht unbedingt für den anderen zutreffend sein muss. Außerdem hat dies immer den Beigeschmack, dass du den anderen für unfähig hältst , selbst Lösungen zu finden.
Mit dem zuerst passiven, dann aktiven zuhören leistet du also optimal Hilfe zur Selbsthilfe und schaffst einen Gesprächs- und Problemlösungsrahmen in dem ihr euch beide wohlfühlt.
2.) Wenn du ein Problem hast – Ich Botschaften
Wenn ich möchte, dass andere Menschen mich verstehen, muss ich über mich selbst sprechen.
–Thomas Gordon
Wenn du selbst ein Problem hast, solltest du die Verantwortung fürs Aktivwerden übernehmen. Informiere den anderen behutsam über die für dich nicht akzeptablen Verhaltensweisen.
Ich-Botschaften sind in diesem Fall das perfekte Mittel der Wahl.
Was sind Ich-Botschaften?
Im Prinzip das genaue Gegenteil von Du-Botschaften. Anstelle mit dem Finger auf den anderen zu zeigen und ihn anzuklagen, machst du dem anderen verständlich und ruhig klar, was du denkst, fühlst und gerne hättest. Du bewertest den anderen nicht und versucht nicht Einfluss auf ihn zu nehmen, sondern machst Aussagen über deine eigenen Ziele, Bedürfnisse und Gefühle. Mithilfe von Ich-Botschaften sorgst du dafür, dass ihr euch auf Augenhöhe begegnet. Ohne Befehle, Belehrungen, Ratschläge, Vorhaltungen und Unterstellungen.
Kurz und knackig: du stellst die Wirkung des Handelns deines Gegenübers ruhig und ehrlich ins Zentrum von deinen Aussagen.
Wie geht das praktisch?
Eine gute Ich-Botschaft besteht aus 3 Komponenten:
1.) einer neutralen, d.h. möglichst objektiven, beobachtenden Beschreibung der Situation. Das heißt, ohne Verallgemeinerungen („Wir wissen doch alle, dass …”, „Es ist immer dasselbe …”, „Du bist ein ganz …”) und Interpretationen.
2.) den Gefühlen und Empfindungen, die das Verhalten des Gegenübers in dir auslöst, d.h. was es mit dir macht,
3.) konkreten Konsequenzen, die das Verhalten des anderen für dich haben und/oder eine Bitte, einen Vorschlag, wie das besagte Verhalten verändert werden könnte.
Gut geeignete Anfänge sind beispielsweise:
„Ich wünsche mir, dass…“
„Ich mache mir Sorgen, dass…“
„Das löst bei mir aus, dass“
Um die Auswirkungen des Verhaltens auf dein eigenes Empfinden auszudrücken, kannst du beispielsweise folgendes sagen:
Wenn du das sagst/tust, löst das bei mir… aus/ fühle ich mich….weil mich das…“
Lass uns das wieder an einem Beispiel durchspielen. Dann wird es greifbarer.
Nehmen wir an, deine Mutter besteht darauf, dass du mindestens einmal unter der Woche nach der Arbeit vorbeischaust. Das kostet dich einen freien Nachmittag und Abend, den du lieber mit deinem Mann und deinen Kindern verbringen möchtest. Oder vielleicht brauchst du auch einfach mal Zeit für dich. Da ihr sowieso so gut wie jedes Wochenende bei deinen Eltern seid, möchtest du ihr mitteilen, dass und wieso du künftig wochentags nicht mehr vorbeischauen regelmäßig wirst.
Eine Ich-Botschaft könnte sein:
„Mama, ich wollte mal mit dir sprechen. Ich komme derzeit ja jeden Mittwoch nach der Arbeit bei dir vorbei. Für mich ist das sehr anstrengend. Momentan ist viel los und ich brauche die Zeit nach der Arbeit für mich und die Kinder. Wenn ich dann noch zu dir fahre, setzt mich das unter Druck und lässt mich hektisch werden. Deshalb werde ich künftig nicht mehr regelmäßig unter der Woche kommen. Ich wünsche mir, dass du das verstehst und weißt, dass das nicht bedeutet, dass ich dich nicht sehen möchte oder mich weniger um dich kümmern werde. Falls irgendetwas ist, bin ich jederzeit für dich da. Es wird sich nichts zwischen uns ändern und ich möchte dich bitten mir zu sagen, wenn es dir damit nicht gut geht – das ist mir nämlich das Allerwichtigste.“
Du merkst, wie wichtig es ist, objektiv und präzise zu sein. Das sind auch die beiden größten Herausforderungen.
Denn du rutschst fast automatisch von der reinen Beobachtung in die Interpretation der Situation. Außerdem ist es schwierig (aber wichtig), deinen Gefühlen und Bedürfnissen so differenziert und genau wie möglich auf die Schliche zu kommen. Dadurch wird es für dich leichter und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der andere dich richtig versteht.
3.) Wenn ihr beide einen Konflikt habt – die „Jeder-Gewinnt-Methode“
Die letzte Technik bezieht sich auf den Fall, dass ein „ausgereifter“ Konflikt zwischen jemand anderem und dir besteht. Wenn also für beide Parteien klar ist, dass eure Bedürfnisse im Clinch stehen.
Thomas Gordon schlägt für so einen Fall die sogenannte „Jeder-Gewinnt-Methode“ Methode vor. Heißt im Klartext: es soll eine Lösung gefunden werden, die für alle Beteiligten akzeptabel ist, sodass sich niemand als Verlierer fühlt.
Sie ist in sechs Schritte unterteilt, die ich dir nun vorstellen möchte. Damit dies wieder praktisch wird, spielen wir das Ganze gleich an einem Beispiel durch. Nehmen wir an, ein Arbeitskollege und du wollen beide ein Projekt leiten. Aber nur einer von euch beiden kann das übernehmen. Und nun?!
Schritt 1: Das Problem erkennen und definieren
Im ersten Schritt ist es wichtig, das Problem präzise, aber weder als Vorwurf noch als Wertung zu formulieren. Dabei ist es günstig all das, wenn du alles, was du bisher gelesen und gelernt hast, anwendest. Das heißt: Ich-Botschaften nutzen, mit Hilfe von aktivem Zuhören den Standpunkt des anderen erfassen und die eigenen Gefühle und Bedürfnisse ruhig darstellen.
Am Ende des ersten Schrittes sollten alle die Problemdefinition akzeptieren. Ab und an muss es auch umdefiniert werden, wenn man merkt, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht.
Bezogen auf das Beispiel würdet ihr beide das Problem eindeutig und sachlich definieren: nur einer von euch beiden kann das Projekt übernehmen, obwohl ihr es beide wollt. Anschließend sollte jeder von euch Zeit bekommen zu erklären, wieso es für euch jeweils wichtig ist, diese Projektleitung zu übernehmen. Der „Sprecher“ achtet auf Ich-Botschaften, der Zuhörer auf’s aktive Zuhören.
„Mir ist es wichtig, das Projekt zu übernehmen, weil ich die Inhalte, um die es geht, sehr spannend finde und sie vertiefen möchte. Mir fällt außerdem auf, dass du in letzter Zeit mehr Projekte als ich geleitet hast, weshalb ich meines Erachtens nach an der Reihe wäre.“
„Ich würde das Projekt gerne übernehmen, weil ich bereits Vorerfahrung in dieser Thematik habe und ich einfach glaube, dass ich es schneller und zur Zufriedenheit unseres Chefs fertigstellen könnte.“
Schritt 2: Alternative Lösungen entwickeln
Dies ist die kreative Phase. Alle Beteiligten sammeln so viele Lösungen wie möglich, schreiben diese auf und stellen sie einander vor. Zu diesem Zeitpunkt werden die Lösungen noch nicht bewertet. Wichtig ist auch, dass alle bemüht sind und nur sinnvolle Lösungsvorschläge machen.
Im Beispiel wären solche Lösungsvorschläge beispielsweise:
- Andere Kollegen (ungerade Zahl) sollen sagen, wen sie eher in der Leitung des Projekts sehen (ohne Begründung). Derjenige, der die meisten „Stimmen“ hat, „gewinnt“.
- Ihr beschließt, zu losen oder Schnick-Schnack-Schnuck zu machen.
- Ihr geht zu eurem Chef und schildert ihm die Situation. Ihr lasst entweder ihn entscheiden oder fragt nochmals nach, ob es nicht möglich ist, das Projekt gemeinsam zu leiten.
- Einer von euch gibt nach und überlässt das Projekt dem anderen.
Schritt 3: Alternative Lösungen werden bewertet
In diesem Schritt werden die vorgeschlagenen Lösungen auf den Prüfstand gestellt. Gibt es Lösungen, die allen gerecht werden? Hierbei ist es wichtig, dass jeder offen bleibt für andere Lösungen als die eigenen und nicht versucht, dem anderen lediglich den eigenen Vorschlag aufzudrängen.
Im Beispiel würdet ihr die einzelnen Lösungen bewerten, d.h. Vor-und Nachteile aufdecken. Zum Chef zu gehen könnte so wirken, als wärt ihr alleine nicht in der Lage, euch zu einigen. Andererseits würde dann definitiv eine Entscheidung fallen, bei der ihr dem anderen keine „Schuld“ zuschieben könntet…usw.
Schritt 4: Entscheidung treffen
Nun bekennen sich alle Beteiligten zu einer Lösung und man entscheidet sich für eine der Vorschläge. Um sicherzugehen, dass jeder versteht, worüber entschieden wird, macht es Sinn, am Ende dieses Schrittes die Lösung klar zu formulieren.
Nehmen wir an, ihr habt euch nach Abwägen dafür entschieden, andere Kollege zu befragen. Ihr haltet fest, dass ihr das Ergebnis widerstandslos annehmt und jeder akzeptiert, unabhängig davon, was dabei herauskommt.
Schritt 5: Entscheidung ausführen
Im vorletzten Schritt wird festgelegt: wer tut was, wann? Je nach Situation und „Länge“ der auszuführenden Schritte ist es wichtig, zu vertrauen, dass die anderen Beteiligten die Entscheidung einhalten. Dies geht auch damit einher, den anderen nicht ständig daran zu erinnern, was er oder sie zu tun hat. Falls du bemerkst, dass sich der andere um die Vereinbarung drückt, mache ihn am besten mittels Ich-Botschaften darauf aufmerksam.
Im Beispiel geht ihr also gemeinsam zu 5 Kollegen und schildert ihnen die Situation. Jeder gibt seine Stimme ab, ohne sich zu rechtfertigen oder irgendetwas anderes zu sagen. Am Ende hat einer von euch beiden drei, der andere zwei Stimmen. (Oder jede andere denkbare Verteilung.)
Schritt 6: Bewertung und Reflexion der Lösung
Im letzten Schritt wird überprüft, ob die Lösung für alle Beteiligten zufriedenstellend war/ist. Schwachpunkte werden diskutiert und mögliche Änderungen bzw. Verbesserung der gefundenen Regelungen vorgeschlagen. Abhängig von der Situation kann dies unmittelbar nach der Entscheidungsausführung oder aber im Abstand von einigen Wochen stattfinden. Falls ihr über Änderungen entscheidet, ist es wichtig, dass sie auf gegenseitigem Einverständnis beruhen.
Derjenige, der im Beispiel den Kürzeren gezogen hat, könnte anmerken, dass er sich nun schlecht fühlt. Nicht unbedingt, weil er verloren habe, sondern weil er nun darüber nachgrüble, wieso die Kollegen ihn als weniger geeignet für das Projekt ansehen. Das leuchtet auch der anderen Person ein. Ihr beschließt, das nächste Mal lieber auf das klassische Losen zurückzugreifen.
Puh… das war ein Konflitklösungsmarathon ;-).
Nun bist du ein wahrer Experte auf diesem Gebiet.
Zumindest in der Theorie. Damit sich dies nun auf die Praxis überträgt, heißt es ran ans Werk. Versuche, den vielen Input und die einzelnen Methoden in deinem Leben anzuwenden. Folgende Leitfragen können dir dabei helfen:
- Welche Konflikte gibt es derzeit in deinem Leben und Alltag?
- Ist die Einteilung des Verhaltensfensters für dich hilfreich, um geordneter und klarer zu agieren? In welchem „Feld“ tummeln sich bei dir die meisten Auseinandersetzungen?
- Wie und wann hast du das aktive Zuhören und die Ich-Botschaften eingesetzt – mit welcher Wirkung?
- Konntest du einen Konflikt mit der „Jeder-gewinnt-Methode“ niederlaglos lösen?
Ich bin sehr gespannt, welche Erfahrungen du mit den einzelnen Methoden machst.
Hat sich dein Verständnis von Konflikten dadurch gewandelt?
Hast du Fragen, wie du die beschriebenen Methoden konkret in deinen Fällen anwendest? Komm gern in die Facebook-Gruppe und stell dort deinen Konflikt vor. Wir alle helfen dir beim Finden einer Lösung.
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