Gehst du auch mal krank zur Arbeit, obwohl du besser im Bett aufgehoben wärst? Machst du regelmäßig Überstunden, um alle To Do´s abzuarbeiten? Arbeitest du vielleicht sogar freiwillig am Wochenende? Deine Motivation und Hingabe für deinen Job sind bewundernswert. Wenn du aber eine oder mehrere dieser Fragen mit Ja beantworten kannst, solltest du deine Einstellung vielleicht noch einmal überdenken. Denn es ist gut möglich, dass du das betreibst, was wir Psychologen Interessierte Selbstgefährdung nennen. Und damit deine Gesundheit aufs Spiel setzt. Hallo Burnout und Co sage ich nur…
Mit Interessierter Selbstgefährdung ist ein Verhalten gemeint, bei dem du freiwillig über deine Belastungsgrenzen hinausgehst. Und dir sozusagen selbst dabei zusiehst, wie du mit der Arbeit deine Gesundheit gefährdest. Vielleicht schüttelst du jetzt erst einmal mit dem Kopf und denkst, dass das alles mit dir überhaupt nichts zu tun hat und du sehr wohl in der Lage bist, deine Belastungsgrenzen einzuhalten. Mag sein, dass du recht hast. Oder dir ist bisher einfach nicht klar, dass du dir mit deinem Verhalten schadest – weil du die Warnzeichen nicht kennst.
In diesem Artikel erfährst du, wie du bei dir selbst erkennst, ob du davon betroffen bist und wieso es so wichtig ist, dass du ins Tun kommst, wenn dies der Fall sein sollte. Damit Unzufriedenheit, Stress und Burnout in deinem Arbeitsleben keine Chance haben.
Wenn Angestellte sich wie Selbstständige verhalten
Stell dir vor, du wärst selbstständig. Vielleicht bist du es ja sogar. In diesem Fall bist du für den Erfolg deines Unternehmens verantwortlich.
Du stehst gerade, wenn der Umsatz in den Keller geht, wenn Kunden abspringen oder das Fortbestehen deines Unternehmens bedroht ist. Genauso wie du davon profitierst, wenn es richtig gut läuft und du „einen Lauf“ hast. Siehst du dich in dieser Situation? Gut. Du spürst, es geht um deine Existenz. Vielleicht die deiner Familie. Da bist du vermutlich nur allzu gern bereit, ein paar Stunden Arbeit dranzuhängen, deine Freizeitaktivitäten zu reduzieren und vielleicht auch einen Abend mit Freunden zu canceln, um noch dies oder jenes fertig zu machen. Vor allem, wenn dein Job dir richtig Spaß macht. Das ist die Erklärung, wieso früher vor allem Selbstständige und Unternehmer von Interessierter Selbstgefährdung betroffen waren – und sich selbst beispielsweise an den Rand des Burnouts getrieben haben.
Anders sieht es eigentlich aus, wenn du angestellt bist. Du bist nicht (allein) für den Firmenerfolg verantwortlich. Du wirst nicht gefeuert, wenn du pünktlich nach Hause gehst oder mit einer Grippe im Bett bleibst. Trotzdem erlebe ich immer häufiger, dass Angestellte eine ähnliche Einstellung an den Tag legen wie Firmengründer. Ihre Bedeutsamkeit für das Unternehmen überschätzen und ihre eigenen Grenzen missachten. Sätze wie „Ich kann nicht kürzertreten, meine Kollegen verlassen sich auf mich.“ oder „Ich muss noch dies oder jenes fertig machen – ich hab das zugesagt.“ sind in meinen Coachingsitzungen keine Seltenheit.
Was sind die Ursachen für Interessierte Selbstgefährdung?
Das kann verschiedene Gründe haben. Es kann sein, dass du Angst hast, zu versagen oder deinen Arbeitsplatz zu verlieren und deswegen besonders Gas gibst.
Wird deine Leistung anhand der Erreichung von Zielen, Kennziffern oder Benchmarks bewertet, steigt das Risiko ebenfalls. Dadurch wird dir suggeriert: Es kommt nicht allein darauf an, in deiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit dein Bestes zu geben. Sondern darauf, ob du ein bestimmtes Ergebnis bringst. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass du mehr Einsatz bringst, länger bleibst oder eben krank zur Arbeit gehst, um noch Ziel a oder b zu erfüllen. Denn es sind eben nur die Arbeitsergebnisse relevant, nicht aber der (Zeit-) Aufwand, den du reinstecken musst, um sie zu erreichen. So hast du am Ende nicht mehr nur deine Arbeitszeit und deinen persönlichen beruflichen Erfolg im Auge, sondern übernimmst Stück für Stück Verantwortung für den Erfolg deines Unternehmens.
Vielleicht gibt dein Chef dir auch viele Freiräume. Zeigt dir, wie sehr er dich und deine Arbeit wertschätzt und überträgt dir verantwortungsvolle Aufgaben. Du willst dich dafür revanchieren und ihn nicht hängen lassen.
Oder ganz simpel: Du liebst deinen Job. Wenn du Spaß an deiner Arbeit hast und besonders motiviert deine beruflichen Ziele verfolgst, sitzt du schnell mit einer Grippe im Büro oder machst freiwillig Überstunden. Ohne dass du überhaupt merkst, dass du dir damit schadest.
So erkennst du, ob du von Interessierter Selbstgefährdung betroffen bist
Ich habe dir sechs wichtige Warnzeichen für Interessierte Selbstgefährdung aufgelistet. Unter jedem Punkt findest du eine Erklärung mit Beispielen. Beurteile mit Hilfe dieser Beschreibung, ob das jeweilige Warnzeichen auf dich zutrifft.
Intensivieren der Arbeitszeit
Dahinter steckt die Frage, ob du die Intensität und die Geschwindigkeit deiner Arbeitszeit erhöhst. Das heißt, besonders schnell und unter ständigem Zeitdruck arbeitest oder auch auf Pausen zugunsten der Arbeit verzichtest. Wenn du die Mittagspause immer wieder mal am Schreibtisch verbringst und dein Essen nebenbei in dich hineinschaufelst, um noch xy fertig zu machen, solltest du dir dieses Warnzeichen anstreichen. (Willst du dich stattdessen in deiner Mittagspause mal so richtig entspannen und erholen, klicke hier). Das Gleiche gilt, wenn du auf den Austausch mit Kollegen verzichtest, um effizienter und schneller zu arbeiten. Nach dem Motto: „Geht ihr schon mal in die Kaffeeküche, ich muss noch abc erledigen.“.
Ausdehnen der eigenen Arbeitszeit
Dieser Punkt trifft auf dich zu, wenn du beispielsweise regelmäßig freiwillig Überstunden machst, aus eigenem Antrieb heraus länger als 10 Stunden pro Tag oder zusätzlich am Wochenende und an Feiertagen arbeitest. Ausdehnen meint außerdem, dass du auch außerhalb deines Arbeitsplatzes, zum Beispiel im Urlaub, arbeitest, in deiner Freizeit erreichbar bist und sogar mal Urlaubstage oder Überstunden verfallen lässt. Wenn du zugunsten deiner Arbeit auf Freizeitaktivitäten wie Sport oder Kino verzichtest oder deine Freunde und Familie vernachlässigst, kannst du bei diesem Warnzeichen gedanklich ebenfalls ein Ausrufezeichen setzen.
Krank zur Arbeit
Diesen Punkt kannst du gedanklich anstreichen, wenn du trotz Krankheit arbeitest oder zugunsten der Arbeit auf eine ausreichende Regenerationszeit verzichtest. D.h. eine Erkältung vielleicht nicht richtig auskurierst und dich eben nicht eine Woche, sondern nur einen Tag krankschreiben lässt. Nach dem Motto: „Geht ja schon alles“ oder „Morgen ist das wichtige Meeting mit z“. Du bist krank und hast ein schlechtes Gewissen? Oder verzichtest auf wichtige Arzttermine und Vorsorgeuntersuchungen, weil du deine wertvolle Arbeitszeit nicht „verschwenden“ willst und du das ja noch ein anderes Mal machen kannst? Auch das sind Hinweise darauf, dass dieses Warnzeichen auf dich zutrifft.
Aufputschende oder entspannende Substanzen einnehmen
Dieses Warnzeichen trifft auf dich zu, wenn du aufgrund deiner Arbeitsbelastung regelmäßig zu aufputschenden oder entspannenden Substanzen wie Alkohol oder Medikamenten greifst. Dabei spielt es keine Rolle, ob du dir nach Feierabend ein Glas Rotwein gönnst, um nach einem anstrengenden Tag abzuschalten und einzuschlafen. Oder ob du in der Mittagspause einen Energydrink bzw. über den Tag fünf Kaffee in dich hinein kippst oder Ritalin einnimmst, um in Schwung zu kommen und länger durchzuhalten. Von illegalen Substanzen wie Kokain zum Durchhalten, Cannabis zum Runterkommen oder dergleichen rede ich nicht. Ich denke, es dürfte selbsterklärend sein, dass dies nicht nur ein Warnzeichen für Interessierte Selbstgefährdung ist!
Vortäuschen
Stell dir vor, du weißt, dass du so viel Arbeit auf dem Schreibtisch hast, dass du wahrlich keine weitere Aufgabe annehmen kannst. Was machst du, wenn dein Chef dich bittet, noch xy zu erledigen? Wenn du ja sagst, ist dies ein Zeichen für Interessierte Selbstgefährdung. Denn eigentlich müsstest du sagen: „Im Moment sehe ich das nicht, weil ich noch 1,2 und 3 auf dem Schreibtisch habe. Lassen Sie uns über Prioritäten sprechen und was jetzt am Wichtigsten ist.“ Personen, die Interessierte Selbstgefährdung betreiben, täuschen aber Kapazitäten vor, die sie gar nicht haben. Dasselbe gilt für das Zurückhalten von Informationen. Zum Beispiel, wenn du beschönigende Angaben zu Projektständen machst („ja, kriege ich pünktlich fertig, obwohl du noch nicht mal angefangen hast“). Ziel dieses ja unbewusst laufenden Vortäuschens ist es, zu zeigen, wie leistungsfähig du bist. Dass man auf dich zählen kann und das in dich gesetzte Vertrauen gerechtfertigt ist. Das heißt, dieses Warnzeichen ist bei dir auch vorhanden, wenn du dich beispielsweise überlastet und überfordert fühlst, es aber niemanden (am wenigsten deinen Chef) wissen lässt.
Umgehen von Sicherheits- und Schutzstandards
Nach den Regelungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz muss – von Schichtbetrieben mal abgesehen – zwischen dem Ende der täglichen Arbeitszeit und dem Beginn der nächsten Arbeitsphase eine Ruhephase von mindestens 11 Stunden liegen. Ganz ehrlich – hältst du dich daran? Oder schaust du eben doch nach Feierabend in deine Mails oder erledigst noch xy? Wenn du Sicherheits- und Schutzregelungen bewusst missachtest, ist das ein deutliches Anzeichen für Interessierte Selbstgefährdung. Und davon gibt es viele. Manche wirken klein und harmlos. Beispielsweise, wenn du durch den frisch gewischten Bereich läufst statt den kleinen Umweg in Kauf zu nehmen, weil du es so eilig hast. Bei anderen weißt du sehr genau, dass es anders besser wäre. Zum Beispiel denke ich an viele Kunden, deren Arbeit körperlich schwer ist. Die eigentlich Hebehilfen nutzen sollten, aber auf sie verzichten, „weil es einfach zu lang dauert“.
Wenn aus Spaß Ernst wird: Von der Interessierten Selbstgefährdung zu Unzufriedenheit, Burnout und Depression
Ein paar Überstunden machen, mal erkältet arbeiten, ein paar Tassen Kaffee am Tag. Was soll daran so schlimm sein?
Lass es mich deutlich sagen: Weil es der beste Weg in Unzufriedenheit, Burnout und Depression ist.
Interessierte Selbstgefährdung ist deswegen so gefährlich, weil du dich als Betroffener als „selbst schuld“ am zunehmenden Leistungsdruck erlebst. Häufig ist dir bewusst, dass du mit deinem Verhalten deine Gesundheit gefährdest. Aber du tust nichts dagegen, weil du dich deinen beruflichen Zielen und dem Unternehmen gegenüber verpflichtet fühlst. Du bist innerlich zerrissen.
Folgen dieses Konflikts mit dir selbst sind nicht selten Gefühle wie Frustration, Unzufriedenheit, Resignation und Ohnmacht. Vielleicht entstehen auch Konflikte mit deinen Kollegen oder Vorgesetzten, weil du das Gefühl hast, dass dein Einsatz nicht genug wertgeschätzt wird. Oder mit deiner Familie, weil du dir nicht mehr genügend Zeit für sie nimmst. All das führt hinein in einen anhaltenden Zustand aus Frust und Unzufriedenheit.
Hinzu kommt, dass das Verhalten, mit dem du eigentlich Stressfaktoren im Job bewältigen willst (länger arbeiten, um die hoch gesteckten Ziele doch noch zu erreichen) dich immer tiefer in die Abwärtsspirale von Stress und Belastung hineinführt. Beispielsweise, weil der Verzicht auf Regenerationszeiten deinen natürlichen Rhythmus aus Anspannung und Entspannung stört. Dieser wiederum ist aber entscheidend, wenn es darum geht, trotz Stress innerlich ruhig zu bleiben.
All diese Belastungen wirken sich permanent negativ auf dein Stresslevel und deine Gesundheit aus. Das wird umso gefährlicher, je länger du dein gefährdendes Verhalten aufrechterhältst. Im schlimmsten Fall können ernsthafte psychische Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen entstehen. Grund genug, dein Verhalten mal genau unter die Lupe zu nehmen, oder?
Sei wachsam, wenn die Interessierte Selbstgefährdung an deine Tür klopft
Interessierte Selbstgefährdung ist ein schleichender Prozess. Selbst, wenn du bisher erst eines dieser Warnzeichen bei dir feststellen konntest, ist es wichtig, dass du dieses ernstnimmst und dein Verhalten hinterfragst. Je mehr Warnzeichen auf dich zutreffen, desto wichtiger ist es, etwas an deinem Verhalten zu verändern. Insbesondere, wenn dein Körper schon Alarm schlägt und du unter Stress-Symptomen wie Anspannung, Erschöpfung oder Einschlafbeschwerden leidest. (Lies hier, woran du erkennst, ob dein Stresspegel aktuell zu hoch ist.)
Deshalb ist es umso wichtiger, dass du dein Verhalten im Arbeitsalltag gut beobachtest und hinterfragst. Trainiere dir ein inneres Alarmsystem an, das immer aufleuchten sollte, wenn du dich mal wieder für die Arbeit hintenanstellst.
Mache dir bewusst, wie wichtig deine Gesundheit ist und frage dich, ob der berufliche Nutzen, den dir dein Arbeitshandeln bringt, es wirklich wert ist, diese Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Sende deinen Kollegen und Vorgesetzten rechtzeitig Stoppsignale und sag auch mal Nein. Achte auf regelmäßige Auszeiten und nutze die Zeit nach Feierabend, um abzuschalten und dich zu entspannen. Verhandle mit deinen Vorgesetzten über deine Arbeitsziele und Arbeitsmenge, damit sie in der dir zur Verfügung stehenden Arbeitszeit überhaupt erreichbar sind.
Es wird dir leichter fallen, all dies zu tun, wenn du nicht nur über den Nutzen nachdenkst, den du daraus ziehst, sondern dir vorher auch bewusst machst, dass du etwas in Kauf nehmen musst, wenn du selbstgefährdendes Verhalten reduzierst.
Wenn du von Anfang an aufmerksam für die Anzeichen Interessierter Selbstgefährdung bist und diese ernst nimmst, kannst du schlimmere Konsequenzen wie Erschöpfungszustände und Burnout mit einer größeren Wahrscheinlichkeit verhindern.
Angewandtes Wissen ist Macht!
Schreib mir in die Kommentare, welche Warnzeichen du mit Hilfe des Artikels bei dir identifizieren konntest und was du in Zukunft tun willst, um dein Verhalten an dieser Stelle zu verändern.
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Quellen
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Krause, A. , Dorsemagen, C., Stadlinger, J. Baeriswyl, S. (2012). „Indirekte Steuerung und interessierte Selbstgefährdung: Ergebnisse aus Befragungen und Fallstudien. Konsequenzen für das Betriebliche Gesundheitsmanagement“. In: FehlzeitenReport 2012. Gesundheit in der flexiblen Arbeitswelt: Chancen nutzen – Risiken minimieren. Hrsg. B. Badura, A. Ducki, H. Schröder, J. Klose und M. Meyer. Berlin und Heidelberg. 191–202
Krause, A., Berset, M., Peters, K. (2015). Interessierte Selbstgefährdung – von der direkten zur indirekten Steuerung. Arbeitsmedizin Sozialmedizin Umweltmedizin. 50. 164-170.
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Semmer, N. K., N. Jacobshagen, L. L. Meier, A. Elfering, W. Kälin und F. Tschan. (2013). Psychische Beanspruchung durch illegitime Aufgaben“. Immer schneller, immer mehr – Psychische Belastung bei Wissens- und Dienstleistungsarbeit. Hrsg. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, G. Junghans und M. Morschhäuser. Wiesbaden. 97–112.