Deutschland ist gestresst. Das zeigt eine Befragung der Techniker Krankenkasse an über 1200 Menschen [1]. 60% aller Befragten haben Stress in ihrem Berufs- oder Privatleben. Bei den 30-39-Jährigen waren es sogar ganze 82%! Vielleicht gehörst auch du zu diesen 60%, hast dir aber bisher noch nicht wirklich Gedanken darüber gemacht. Ein bisschen Stress kann doch nicht so dramatisch sein. Ist doch heutzutage normal, oder?
Tatsächlich handelt es sich beim Stress um eines der meist unterschätzten Probleme unserer Zeit. Deshalb teile ich in diesem Artikel fünf spannende wissenschaftliche Studien mit dir, die sich mit den Folgen von Stress für dich und deine Gesundheit auseinandersetzen. Lies unbedingt weiter, wenn du bisher davon ausgegangen bist, Stress gehöre nun mal zum Leben dazu. Oder wenn du nach Argumenten suchst, um jemanden zu überzeugen, etwas gegen den Stress zu tun – weil dir ihr oder sein Stresslevel Sorgen macht.
Die dramatischen Folgen von Stress – 5 Studienbefunde, die du kennen solltest
In den letzten Jahrzehnten haben sich unzählige Forscher der Frage gewidmet, was Stress mit dir, deinem Körper und deiner Psyche macht. Einige der wichtigsten Erkenntnisse habe ich in den folgenden Abschnitten für dich zusammengefasst.
Vorab möchte ich aber eines klar stellen: Ab und zu mal gestresst zu sein, ist kein Weltuntergang. Im Gegenteil. Stress ist in vielen Situationen sehr hilfreich, weil er deine Energiereserven mobilisiert und dich fit für Herausforderungen macht.
Wovon ich in diesem Artikel spreche – und womit sich die Studien befasst haben – ist chronischer Stress. Das bedeutet, dass sich dein Körper dauerhaft im Alarmmodus befindet und nicht mehr in der Lage ist, die Anspannung mit Hilfe von regelmäßigen Entspannungsphasen auszugleichen. Die Balance zwischen Anspannung und Entspannung ist also gestört. Diese anhaltende Stressbelastung kann verheerende Konsequenzen für dich und deinen Körper mit sich bringen. Welche das sind, zeige ich dir jetzt.
1. Stress schwächt dein Immunsystem und macht dich anfällig für Krankheiten
Jennifer Morey und ihre Kollegen von der University of Kentucky haben in einem Befunde aus mehreren Jahrzehnten Forschung zur Beziehung von Stress und Immunsystem zusammengetragen [2].
- Demnach geht sowohl akuter als auch chronischer Stress mit einem höheren Gehalt entzündungsfördernder Zytokine einher.
- Das sind Proteine in deinem Körper, die an der Zellsteuerung beteiligt sind und eine Entzündung erzeugen, sobald sich ein Krankheitserreger in deinem Körper befindet, der da nicht hingehört.
Das ist erstmal nicht schlimm.
Die kurzfristige Entzündung ist eine notwendige Reaktion deines Immunsystems, um Krankheitserreger zu eliminieren und eine Heilung einzuleiten.
Chronischer Stress führt aber dazu, dass diese Entzündung dauerhaft besteht.
Das Immunsystem kann sich dann nicht mehr richtig regulieren, wodurch das Risiko für chronische Krankheiten, wie zum Beispiel Atherosklerose und Gebrechlichkeit, erhöht wird.
Außerdem wird chronischer Stress auch mit der Aktivierung von latenten Viren in Verbindung gebracht. Das sind Viren, die nach einer Infektion in deinem Körper bleiben und in der Regel keine Krankheitsfolgen mit sich bringen. Durch die häufige Aktivierung verliert das Immunsystem allerdings die Kontrolle über diese Viren und wird nachhaltig geschwächt.
Man spricht auch von „Silent Inflammation“, also stillen Entzündungen, weil sie in der Regel ganz ohne die typischen Entzündungssymptome daherkommen und deswegen oft sehr lange unbemerkt bleiben. Weil dein Immunsystem aber ständig damit beschäftigt ist, die Entzündungen klein zu halten, kann es seinen anderen Aufgaben nicht mehr so effektiv nachkommen. Auf Dauer kann dieser Zustand nicht nur zu schwerwiegenden Krankheiten führen, sondern auch die Alterungsprozesse in deinem Körper beschleunigen („Inflamm-Aging“) und deine Lebenszeit verkürzen [3].
Kurz gesagt: Wenn du dauerhaft gestresst bist, bist du anfälliger für Krankheiten und alterst schneller.
2. Stress erhöht das Risiko für Herzkrankheiten
Akuter Stress sorgt in deinem Körper für eine Erhöhung der Herzfrequenz und stärkere Kontraktionen des Herzmuskels. Dabei wirken die Stresshormone
- Adrenalin,
- Noradrenalin und
- Cortisol als Botenstoffe.
Außerdem weiten sich die Blutgefäße, die das Blut zu den großen Muskeln und zum Herzen leiten, wodurch die zu diesen Körperteilen gepumpte Blutmenge und damit der Blutdruck erhöht wird.
Normalerweise ist das unproblematisch, weil dein Körper in seinen Normalzustand zurückkehrt, sobald die Stresssituation vorbei ist.
Bei chronischem Stress passiert das allerdings nicht.
Der dauerhafte Anstieg deiner Herzfrequenz, der erhöhte Spiegel an Stresshormonen und der hohe Blutdruck können deinen Körper ernsthaft schädigen.
Das konnte unter anderem in der großen Hispanic Community Health Study nachgewiesen werden [4]. Die Untersuchung von 5313 Personen im Alter von 18-74 Jahren ergab, dass chronischer Stress mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für (z.B. Angina Pectoris, Herzinfarkt) und Schlaganfälle einherging. Darüber hinaus konnte auch ein erhöhtes Risiko für Diabetes und Bluthochdruck nachgewiesen werden, welche beide als Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten.
3. Stress macht dich nicht nur körperlich krank, sondern auch psychisch
Es gibt eine Menge Studien, die auf eine Verbindung zwischen chronischem Stress und psychischer Gesundheit, beziehungsweise Krankheit, hindeuten. In einem Review-Artikel haben Marie-France Marin und ihre Kollegen die wichtigsten Befunde zusammengefasst und die Rolle bestimmter Einflussfaktoren wie dem Geschlecht und der individuellen Veranlagungen diskutiert [5].
Einfach ausgedrückt deutet die Befundlage darauf hin, dass chronischer Stress die Anfälligkeit für psychische Erkrankungen erhöht.
Das hängt unter anderem mit den Glucocorticoiden, einer Klasse von Stresshormonen zusammen, die in stressvollen Situationen ausgeschüttet werden. Diese Ausschüttung ist Teil eines hormonellen Kreislaufs, der mit der Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA) in Gang gesetzt wird. Die Glucocorticoide sind fettlöslich und können so die Blut-Hirn-Schranke überschreiten, wo sie sich an der Modulation von Angst und depressiven Verstimmungen sowie an kognitiven Prozessen wie Lernen und Gedächtnis beteiligen.
Ein besonderes Augenmerk legt die Forschung auf das Berufsleben und den dort entstehenden Stress.
Viele Modelle und Theorien zu diesem Thema gehen von Informationsverarbeitungsdefiziten als Grundlage aus. Das bedeutet, dass die Belastung durch den chronischen Stress auf der Arbeit die psychischen Fähigkeiten des Einzelnen überfordert. Solche Belastungsfaktoren in der Berufswelt sind zum Beispiel schlechte Kommunikation oder fehlendes Mitspracherecht am Arbeitsplatz, ein zu hohes oder zu niedriges Aufgabenpensum und Probleme in der Arbeitsumgebung wie Hitze oder Lärm. All diese Einflüsse können während des Arbeitsalltags auf dich einwirken und dich belasten, sodass unter anderem deine Konzentrationsfähigkeit, dein Gefühlsstatus und deine Aufmerksamkeit gestört werden können. Ist diese hohe psychische Stressbelastung von Dauer, kann das ernste Konsequenzen haben – das Risiko für Burnout, Depressionen und andere Krankheiten wird erhöht.
Welchen Einfluss chronischer Stress letztlich tatsächlich auf dich hat, hängt allerdings stark von individuellen Faktoren ab, weil er vor allem an bestehenden Schwachpunkten anknüpft und diese dann verschlimmert. Wenn du zum Beispiel keine funktionierenden Coping-Strategien kennst, um deinen Stress zu bewältigen oder sehr dysfunktionale Strategien verwendest, ist es wahrscheinlicher, dass du eine psychische Krankheit entwickelst, als wenn du ein hohes Maß an Resilienz hast und einen konstruktiven Umgang mit deinem Stress pflegst.
4. Stress verringert die Bildung neuer Nervenzellen im zentralen Nervensystem
Der Hippocampus produziert auch im Erwachsenenalter noch neue Nervenzellen. Dieser Prozess, den man als adulte Neurogenese bezeichnet, spielt unter anderem beim Lernen, beim Gedächtnis, bei der Angstregulation und bei der Stressreaktion eine wichtige Rolle.
Stress beeinflusst allerdings die Funktion des Hippocampus – deswegen wirkt er sich auch auf die Produktion und das Überleben neuer Nervenzellen aus. Timothy Schoenfeld und Elizabeth Gould vom Institut für Neurowissenschaften an der Princeton-University haben diesen Einfluss genauer unter die Lupe genommen und die Befunde verschiedener Forschungsarbeiten zusammengefasst [6].
In einem Experiment mit Mäusen konnte zum Beispiel nachgewiesen werden, dass chronischer sozialer Stress, bei dem die Mäuse sich unterordnen mussten, die Zellvermehrung reduziert.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Lernen die Neurogenese erhöht. Wenn das Lernen aber schwierig oder anstrengend, also eine stressvolle Erfahrung ist, kann es sich negativ auf die Zellvermehrung auswirken – selbst, wenn der Lernzuwachs stattfindet.
Insgesamt deuten die Befunde darauf hin, dass chronischer Stress die Neurogenese bei Erwachsenen reduziert, indem er die Zellvermehrung, das Zellüberleben und die neuronale Differenzierung beeinträchtigt.
5. Stress hält dich vom Schlafen ab
Eine gesunde und erholsame Nachtruhe ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, wenn du gut gelaunt, fit und leistungsfähig sein willst. Im Schlaf verarbeitest du Informationen, die du tagsüber aufgenommen hast und gibst deinem Körper und Gehirn die Möglichkeit, sich zu erholen und die Akkus wieder aufzuladen.
Gerade, wenn es ist deinem Alltag öfter mal stressig wird, wäre deine Nachtruhe ein wichtiger Rettungsanker.
Umso schlimmer, dass Stress häufig genau das verhindert.
Es gibt einen ganzen Berg an Studien über den Einfluss von Stress auf die Schlafregulation. Kuem Sun Han, Lin Kim und Insop Shim haben es sich zur Aufgabe gemacht, sich durch diesen Berg durchzuarbeiten und die potenziellen physiologischen, hormonellen und neuronalen Mechanismen zu untersuchen, die dem Zusammenhang zwischen Stress und Schlafstörungen zugrunde liegen [7].
Der „Hauptübeltäter“, wenn es um stressbedingte Schlafstörungen geht, ist die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA). Nicht umsonst wird sie Stressachse genannt.
Die HPA ist ein Hormonsystem, das bei Stress aktiviert wird und dafür sorgt, dass du dich wach fühlst.
- Das ist super, wenn du gerade in einer akuten Stresssituation bist, die deine volle Aufmerksamkeit benötigt.
- Wenn du aber in deinem Bett liegst und schlafen willst, ist das ziemlich kontraproduktiv.
- Denn dann tut die HPA genau das, was du nicht willst – sie hindert dich am Schlafen.
Dass das auf Dauer absolut schädlich für dich ist, brauche ich dir wohl nicht zu erklären.
Stress ist nicht gleich Stress
Die Studienbefunde zeigen, dass chronischer Stress dramatische Konsequenzen für deinen Körper und deine Gesundheit nach sich ziehen kann. Schau deshalb unbedingt in einen dieser Artikel rein, wenn du dir Sorgen machst, dass dein Stresslevel zu hoch sein könnte.
- Warnsignale – Wie du Stress rechtzeitig erkennst, wenn dein Körper Alarm schlägt
- Wenn der Alltagsstress nicht mehr harmlos ist – so erkennst du, dass dein Dauerstress direkt in Burnout übergeht
Wenn du dich dafür interessierst, was dein Stress sonst noch so mit deinem Körper anstellt – zum Beispiel mit deinen Muskeln, deiner Fortpflanzung und deinem Magen-Darm-System (und der englischen Sprache mächtig bist), schau dir mal diese coole Seite der American Psychological Association an. Dort kannst du mit Hilfe von interaktiven Grafiken die Folgen von Stress für deinen Körper ganz genau unter die Lupe nehmen.
All diese gesundheitlichen Risiken bestehen aber nicht nur deswegen, weil du Stress hast. Sondern vor allem dann, wenn du glaubst, dass dein Stress dir schadet.
Neuste Studien beweisen, dass dein Stress-Mindset einen riesigen Einfluss darauf hat, welche Folgen dein Stress nach sich zieht – oder eben auch nicht. In diesem Artikel gehe ich näher darauf ein und erkläre dir, was es mit einem positiven Stress-Mindset auf sich hat.
Ein gutes Stress-Mindset reicht aber natürlich nicht aus. Es ist wichtig, dass du lernst, wie du mit positiver Stressbewältigung konstruktiv mit deinem Stress umgehen kannst. Dazu gehört zum Beispiel, dass du dir regelmäßig Auszeiten nimmst, stressreduzierende Gewohnheiten entwickelst und deine inneren Antreiber zähmst.
Schreib mir in die Kommentare
- Wie klar war dir bereits, welche Folgen anhaltender Stress hat?
- Neigst du oder neigen Menschen in deinem Umfeld eher dazu, Stress zu verharmlosen?
- Was tust du, um konstruktiv mit deinem Stress umzugehen?
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Quellen
[1] Entspann dich, Deutschland – TK-Stressstudie 2016
[2] Morey, J. N., Boggero, I. A., Scott, A. B. & Segerstrom, S. C. (2015). Current directions in stress and human immune function. Current opinion in psychology, 5, 13-17.
[3] Franceschi, C., Bonafè, M., Valensin, S., Olivieri, F., De Luca, M., Ottaviani, E. & De Benedictis, G. (2000). Inflamm‐aging: an evolutionary perspective on immunosenescence. Annals of the new York Academy of Sciences, 908(1), 244-254.
[4] Gallo, L. C., Roesch, S. C., Fortmann, A. L., Carnethon, M. R., Penedo, F. J., Perreira, K., … & Sotres-Alvarez, D. (2014). Associations of chronic stress burden, perceived stress, and traumatic stress with cardiovascular disease prevalence and risk factors in the HCHS/SOL Sociocultural Ancillary Study. Psychosomatic medicine, 76(6), 468-475.
[5] Marin, M. F., Lord, C., Andrews, J., Juster, R. P., Sindi, S., Arsenault-Lapierre, G., … & Lupien, S. J. (2011). Chronic stress, cognitive functioning and mental health. Neurobiology of learning and memory, 96(4), 583-595.
[6] Schoenfeld, T. J. & Gould, E. (2012). Stress, stress hormones, and adult neurogenesis. Experimental neurology, 233(1), 12-21.
[7] Han, K. S., Kim, L. & Shim, I. (2012). Stress and sleep disorder. Experimental neurobiology, 21(4), 141-150.