Neulich habe ich mich mit einer guten Freundin in einem unserer Lieblingscafés zum Quatschen und Latte-Macchiato schlürfen getroffen. Im Gespräch kamen wir auf ihre Beziehung und ich erkundigte mich, wie es bei ihnen denn so liefe. Ihre Antwort lautete fast wortwörtlich so: „Ach, im Grunde genommen ganz gut. Nur kriegen wir uns hin und wieder tierisch in die Haare und keifen uns wegen unnötiger Kleinigkeiten total an. Dann ist jeder von uns total angepisst und durch die schlechte Stimmung ist der gesamte Tag im Eimer. Ich weiß selbst nicht recht, wieso wir uns wegen nichts und wieder nichts einen gemeinsamen Sonntag so vermiesen lassen.“

Kommt dir das bekannt vor? Diese scheinbar unnötigen Zankereien, die wegen Banalitäten (ich sage nur offene Zahnpastatube im Bad) entstehen, und in Streits oder aufbrausenden Auseinandersetzungen ausarten?

Ich möchte dir in diesem Artikel vor Augen führen, was wirklich hinter solchen scheinbar kleinen Differenzen mit deinem Partner/deiner Partnerin steckt. Und wieso sich aus ihnen ganz schnell ein sich verselbstständigender Teufelskreis aus von bösen Anschuldigungen und unschönen Beziehungsspannungen entwickelt. Vor allem aber will ich dir zeigen, was du tun kannst, um derartig eskalierende Konflikte mit deinem/r Liebsten bereits im Vorfeld effektiv zu vermeiden. Wenn du diese Anregungen und Tipps konsequent anwendest, kann eurer harmonischen Zweisamkeit in Zukunft kaum noch etwas Wege stehen.

Das „Problem“ ist nie das Problem

Lass uns zum Gespräch mit meiner Freundin zurückkehren. Ich habe dir nicht umsonst davon erzählt. Ich habe sie gefragt, was vorgefallen ist. Sie berichtete von einer Szene am Frühstückstisch, sonntagmorgens. Ihr Freund war dabei, sich ein gekochtes Ei zu schälen und brauchte dafür – wie so üblich – Ewigkeiten. Da sie auch ein Ei haben wollte, wurde es ihr irgendwann zu bunt und sie schnappte sich den Eierschalenbehälter. Er war daraufhin total sauer und blaffte sie an, was das denn nun bitte sollte. Sie reagierte prompt mit einem: „Nun hab dich doch nicht so, ist doch nur eine Schüssel. Leg deine Schale doch einfach auf deinen Teller und gut ist.“

Und so gifteten sie sich noch ein paar Male an. Meine Freundin versuchte, ihm klarzumachen, dass das doch jetzt wirklich nicht der Rede wert sei – es ging doch schließlich nur um eine bescheuerte Eierschale!

Du kannst dir sicherlich vorstellen, wie die beiden schweigend und sich missverstanden fühlend ein nicht mehr ganz so romantisches Rest-Frühstück hatten.

Vielleicht kannst du dich gut in die Sichtweise meiner Freundin hineinversetzen und empfindest die Reaktion ihres Partners ebenso übertrieben. Oder aber du verstehst die Wut und Empörung ihres Freundes und würdest dir in dieser Situation auch total auf den Schlips getreten fühlen.

Andere Paradebeispiele in diesem Zusammenhang, die enormes Konfliktpotenzial bergen und dir unter Umständen bekannt vorkommen: der Andere lässt den Klodeckel (zum 100 Mal(!)) offen stehen, vergisst mal wieder, die Teller in die Spülmaschine einzuräumen oder den Müll rauszubringen.

Wie lässt es sich erklären, dass entweder wir selbst oder der Andere aus solchen objektiven Bagatellen ein Riesenfass aufmachen und lieber einen Krach riskieren als jeweils eine Minute zu investieren, um den Klodeckel zu schließen, den Müll rauszubringen oder was auch immer nötig wäre, um die Situation aufzulösen?

Was wirklich hinter scheinbaren Belanglosigkeiten steckt

Der Grund dafür liegt darin, dass es uns in den oben genannten Situationen nicht um die Tatsache an sich, d.h. das Problem geht. Sondern um die darunter liegenden Bedürfnisse, die durch das Verhalten des Partners verletzt oder vernachlässigt worden sind.

Lass uns zunächst mal schauen, was und wie wir kommunizieren, um das etwas verständlicher für dich zu machen.

Jede Botschaft, jede Aussage besteht aus einem (für den anderen) hörbaren und einem verborgenen Teil. Auf Sigmund Freud geht das sogenannte Eisberg-Modell zurück, von dem du sicher schon gehört hast.

Wie bei einem Eisberg gibt es, wenn zwei Menschen miteinander sprechen, einen Teil, der über die (Wasser-)Oberfläche ragt. Das ist die rationale Ebene bzw. Sachebene. Hier sind Daten, Fakten, Argumente, Aufgaben oder Ziele anzusiedeln. Es gibt aber auch noch den Anteil des Eisbergs bzw. der Kommunikation, der unter Wasser liegt, sozusagen im Verborgenen. Hier findet man die emotionale Ebene bzw. die Beziehungsebene. Dahinter verbergen sich Gefühle, Werte, Interessen, Wünsche oder kurz gesagt und am wichtigsten: die Bedürfnisse der Person.

Was das Eisbergmodell mit unserer Kommunikation zu tun hat

Das Bild des Eisberg ist ein bewusst gewähltes Symbol. Wie du wahrscheinlich weißt, sind es lediglich 20% der Eismasse, die über der Wasseroberfläche liegt. Die restlichen 80% und damit der Großteil des Berges befinden sich darunter.

Genauso läuft es auch in den meisten Fällen in Gesprächen ab. Wir sagen nur einen Bruchteil von dem, was wir eigentlich meinen. Inhaltlich äußern wir hauptsächlich Dinge, die sich „objektiv“ gesehen in der Regel auf Tatsachen, Aufgaben, Tätigkeiten oder Ziele beziehen. Genau das kommt bei deinem Gesprächspartner an. Dabei geht es uns doch eigentlich um etwas ganz anderes: darum, wie wir uns fühlen oder fühlen möchten. Nur lassen wir diesen Teil in der verbalen Botschaft meistens weg.

Du kannst ja mal einen kurzen Moment innehalten und überprüfen, wie häufig du beispielsweise direkt kommunizierst, was du fühlst, was deine eigentliche Intention hinter der Aussage, dein Motiv, dein dahinterliegendes Bedürfnis ist. Beziehungsweise wie oft du genau das nicht zum Bestandteil deiner Kommunikation machst.

Oft wissen wir selbst nicht richtig, was wir wirklich wollen, um was es uns wirklich geht. Das ist auch gar nicht so leicht und bedarf einiges an Übung (dazu später mehr :-)). Und selbst wenn du weißt, was dir wichtig ist, hast du das immer noch nicht mittransportiert.

Obwohl es uns selbst schwerfällt, auszudrücken, worum es uns gerade geht, erwarten wir es dennoch implizit von unserem Gesprächspartner. Und sind total enttäuscht oder tierisch wütend, wenn er nicht erkennt und sieht, was gerade wirklich in uns abgeht.

Oft reagieren Menschen dann mit einer Vehemenz und Intensität, die der Andere in diesem Moment überhaupt nicht nachvollziehen kann. Und schwupps…da sind wir inmitten des Teufelskreises von aneinander vorbeireden und gegenseitigem Aufschaukeln.

Um wieder von der Theorie in die Praxis überzugehen

Im Beispiel meiner Freundin ging es ihrem Freund vermutlich nicht um die Tatsache, dass sie den Eierschalenbehälter an sich genommen hat. Sondern möglicherweise darum, dass sie damit seine Bedürfnisse nach Anerkennung, Wertschätzung und zwischenmenschlicher Achtsamkeit verletzt hat. Er hat sich nicht gesehen und übergangen gefühlt.

Da ihr Freund dies meiner Freundin jedoch nicht mitgeteilt hat, und sich verbal lediglich auf die „objektive Tatsache“ des „Schüsseldiebstahls“ beschränkt hat, war meiner Freundin überhaupt nicht klar, um was es ihm eigentlich ging.

Und so diskutieren und zankten sie auf der Oberfläche und hörbar nur über eine äußere Gegebenheit ohne den wirklichen und wahrhaften Kern, das eigentliche Problem zu erkennen. Logischerweise kann der eigentliche Konflikt dann auch nicht gelöst werden. Stattdessen nimmt Entfremdung und Distanz durch das Aneinander vorbeireden zu.

Was es mit deiner Kommunikation macht, wenn du die Bedürfnisse des Anderen berücksichtigst

Was aber wäre passiert, wenn meine Freundin ihren Freund nicht mit „stell dich nicht so an“ abgefrühstückt hätte, sondern etwas erwidert hätte, was in die folgende Richtung geht: „Hey, tut mir leid, ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen und habe nicht bedacht, dass das respektlos ist und ich dich damit übergehe.“?

Ich glaube – und du höchstwahrscheinlich auch – dass er dann nicht so an die Decke gehen würde wie bei einem „stell dich nicht so an.“ Vielmehr würde er mit einem „Ja, das war nicht sonderlich toll…“ reagieren.

Und vielleicht merkst du, dass man an diesem Punkt auf einer ganz anderen Ebene der Kommunikation ist.

Wenn sich der Andere ernst genommen, gesehen, geschätzt und verstanden fühlt, macht er nämlich nicht die inneren Schotten dicht. Sondern öffnet sich und ist bereit, einen Schritt auf das Gegenüber zuzugehen und alternative Denk- und Sichtweisen in Betracht zu ziehen.

Wenn es dir also gelingt, nicht unmittelbar auf das Ereignis zu reagieren und deinen in den Startlöchern stehenden Gehirn-Automatismen kurz Einhalt zu gebieten, entsteht eine ganz andere, positive Dynamik in eurer Kommunikation.

Konflikte vermeiden = den Anderen wirklich verstehen wollen

Indem du mehr auf die tiefer liegende Bedürfnis- und Beziehungsebene gehst, kannst du nicht nur Konflikte vermeiden, sondern ihr habt die perfekte Möglichkeit und Einladung, qualitativ an eurer Beziehung zu arbeiten.

Indem ihr gemeinsam schaut, an welchen Stellen und in welchen Situationen ihr euch gegenseitig innerlich auf den Schlips tretet – und vor allem weswegen, d.h. welche verletzten Bedürfnisse dahinterstecken. Und dann könnt ihr im nächsten Schritt überlegen, was ihr jeweils füreinander tun könnt, um mehr in die Bedürfnisbefriedigung zu kommen.

Und nein, das bedeutet nicht, eure gesamte Beziehung und eure eingespielten Interaktionsabläufe grundlegend auf den Kopf zu stellen. Viel wichtiger und effektiver sind Kleinigkeiten – wie eben daran zu denken, den Klodeckel zuzumachen, ein liebevolles „Danke, dass du mir so oft alles hinterherräumst“, ein Kompliment oder eine kleine Verwöhnungsmassage usw.

Konflikte vermeiden = die eigenen Bedürfnisse und die des Anderen zu erkennen!

Wie kann es dir ganz konkret in deiner Partnerschaft gelingen, mithilfe des Eisbergmodells und der Berücksichtigung der Bedürfnisse Streit vorzubeugen und auf eine tiefere Ebene in der Beziehung zu kommen?

Die Antwort auf die Frage nach der Voraussetzung dafür ist denkbar einfach: bevor du über irgendwelche Bedürfnisse kommunizieren kannst, musst du sie natürlich erstmal kennen. Besser gesagt ER-KENNEN. Und dieses Erkennen bezieht sich wiederum auf zwei Aspekte: auf deine eigenen Bedürfnisse und auf die Bedürfnisse deines Partners.

1. Die eigenen Bedürfnisse erkennen & für sich selber einstehen

Um in potenziellen Konfliktsituationen einen kühlen Kopf zu bewahren und entsprechend deinen eigenen Zielen und Bedürfnissen zu handeln, musst du erst einmal wissen, was dir wirklich wichtig ist und wovon du mehr in deinem Leben haben möchtest. Dabei geht es im Kern um die Beantwortung folgender Fragen:

  • Welche Bedürfnisse habe ich eigentlich?
  • Wie sorge ich für die Berücksichtigung und Befriedigung dieser Bedürfnisse?
  • Nehme ich mich selbst ernst, stehe ich für mich und meine Bedürfnisse ein?
  • Oder mache ich mich vielmehr von anderen Personen abhängig und mache ich meinen Partner für die Erfüllung meiner eigenen Bedürfnisse verantwortlich?

Da es so unglaublich wichtig, gleichzeitig aber total schwierig ist, Antworten auf diese Fragen zu finden, wird es nächste Woche einen Artikel dazu geben, wie du deine Bedürfnisse selbst besser erkennst. Sei also gespannt. Bis dahin widmen wir uns dem zweiten wesentlichen Punkt, um Konflikte in deiner Partnerschaft vorzubeugen.

2. Die Bedürfnisse deines Partners/deiner Partnerin erkennen

Natürlich ist es leichter, wenn du deinen Partner bereits gut kennst, d.h. weißt, auf was er/sie Wert legt, wann er/sie sauer wird, was er/sie braucht, um entspannt und erfüllt zu sein.

Du kannst dich einmal gedanklich in ihn oder sie hineinversetzen und auf ein Blatt Papier alles aufschreiben, was ihm/ihr wichtig ist: Menschen, Tätigkeiten, insbesondere aber Ziele und Werte. Denn die sind besonders aussagekräftig und bieten dir eine gute Ausgangsbasis und Hilfestellung, um in der konkreten Situation das dahinterliegende Bedürfnis zu identifizieren.

Um das Erkennen ganz gezielt zu trainieren, möchte ich dir abschließend eine tolle Übung vorstellen, zu der ich dich bzw. euch ganz herzlich einlade.

Schritt 1:

Überlege dir 5 Situationen, die dir in den letzten paar Tagen widerfahren sind. Dabei ist es ganz egal, ob die Situationen angenehm oder unangenehm waren. Am besten ist sogar ein Mix. Beschreibe die Situation in Stichworten bzw. 1-2 Sätzen, wie zum Beispiel:

  • Gestern ist mir der Zug vor der Nase weggefahren.
  • Ich stand auf der Heimfahrt ewig im Stau.
  • Mein Chef hat mich gelobt.

….

Du kannst sehr gerne deinem Partner/deiner Partnerin von der Übung erzählen und auch sie/er kann sich 5 Situationen überlegen. Oder auch einfach sammeln, was in den nächsten Tagen so passiert.

Schritt 2:

Wenn du die Situationen aufgeschrieben hast, beschreibe deinem Gegenüber jeweils kurz, was passiert ist und versuche, das Gefühl zu benennen, das in der jeweiligen Situation bei dir hochgekommen ist. Also zum Beispiel:

  • Gestern ist mir der Zug vor der Nase weggefahren. Das hat mich total genervt.
  • Ich stand auf der Heimfahrt ewig im Stau. Das war so unnötig und ich habe mich richtig geärgert.
  • Ich habe mich sehr gefreut und war überrascht als mein Chef mich gestern vor der versammelten Mannschaft gelobt hat.

….

Die andere Person, mit der du die Übung machst, überlegt sich nun, welches erfüllte oder nicht erfüllte Bedürfnis dahinter steckt, d.h. das jeweilige Gefühl hervorgerufen hat. Da das vielleicht nicht ganz einfach ist und dir auf Anhieb nicht unbedingt 100 verschiedene Bedürfnisse einfallen, habe ich dir als Hilfestellung hier eine kleine Auswahl zusammengestellt. Sie ist keinesfalls vollständig, sondern soll dir eine kleine Hilfestellung sein, damit du weißt, in welche Richtung du schauen kannst.

Beispiele für Bedürfnisse

Bedürfnisse

Wenn du meinst, das Bedürfnis gefunden zu haben, teilst du es dem anderen mit, zum Beispiel so:

„Warst du deshalb genervt, weil du dir gewünscht hättest…/…gebraucht hättest/ das Bedürfnis hattest?“

„Hast du dich deshalb darüber gefreut, weil dir wichtig gewesen ist…?“

Wenn sich der andere durch deine Beschreibung und das vorgeschlagene Bedürfnis verstanden fühlt: perfekt! Dann geht es weiter mit der nächsten Situation, entweder von dir oder dem Anderen.

Ich finde die Übung vor allem deshalb so klasse, weil sie dich dazu bringt, dich wirklich in den Anderen hineinzuversetzen und du lernst, Bedürfnisse zu deuten auf der Basis von Gefühlen und Situationen. Mit ein bisschen Training wird es für euch selbstverständlich, die Brille des jeweils Anderen aufzusetzen. Eure Umgangsweise miteinander wird wie von selbst liebevoller, empathischer und kompromissvoller.Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, was du zum Artikel und natürlich auch zu der Übung sagst. Hast du sie mit deinem Partner/deiner Partnerin ausprobiert? War es einfach oder eher schwierig? Ist es dir/euch mit der Zeit leichter gefallen?

Und natürlich die wichtigsten Fragen: Hast du dich im Artikel wiedererkannt? Hat dir die Bedürfnisstrategie geholfen, ausartende Rangeleien und Konflikte zu reduzieren?

Konntest du bemerken, dass alleine schon diese „Bedürfnissuche“ etwas mit eurer Beziehung macht oder damit, wie du dich fühlst? Glaubst du, dass sich dadurch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ihr nicht länger aneinander vorbei redet? Und dadurch tatsächlich künftig Konflikte vermeiden könnt?

Ich freue mich auf deine Erfahrungsberichte in den Kommentaren. Und ich kann es kaum erwarten, die nächsten beiden Wochen gemeinsam mit dir noch tiefer in die Themen Bedürfnisse (befriedigen) und Konflikte (lösen) einzutauchen.

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