Sich selbst optimieren. Dahinter stecken doch eigentlich Fragen wie: Wer bin ich? Was will ich? Wie kann ich meine Potenziale bestmöglich nutzen und meine Chancen maximieren?
Durchaus kluge Fragen, auf die du sicherlich nicht als Einziger Antworten suchst. Zahlreiche Workshops, Selbsterfahrungsangebote und Psychoratgeber wollen dir dabei helfen, dein wahres Ich zu entdecken – und natürlich auch, es zu verbessern.
Selbstoptimierung, das Bestreben, aus dir selbst das Beste herauszuholen, ist in aller Munde. Du weißt, dass die Gegenwart dir tausend Möglichkeiten bietet. Theoretisch. Deshalb bist du entschlossen, das Maximum aus deinem Dasein herauszuholen. Denn nur dann, so ein scheinbar unausgesprochener Konsens, kannst du ein bewusstes und erfülltes Leben führen. Und natürlich willst du das unbedingt. Schließlich hast du nur eines. Dein Lieblingsleben soll bitte perfekt sein.
Ich selbst zeige dir auf soulsweet massenhaft Wege, wie du dein Glück vermehren, deinen Stress reduzieren und deine Potenziale entfalten kannst. Das kann leicht zu einem Missverständnis führen. Deswegen ist mir dieser Artikel so wichtig. Was du bei der ganzen Optimierungssache nämlich nicht vergessen sollst: Das Glücklichsein hängt nicht von einem objektiv perfekten Leben ab. (Hier erfährst du von 3 potenziellen Irrwegen auf deiner Glückssuche.) Zweifellos ist Jeder seines eigenen Glückes Schmied: Du kannst viel dafür tun, dass du zufriedener und glücklicher wirst. Dies bedeutet jedoch nicht, dass du es erzwingen kannst, indem du nach Geheimrezepten suchst, die dich selbst und alle deine Lebensbereiche optimieren!
Dieser Artikel soll dich deshalb davor bewahren, in den heute beinahe gesellschaftlich verordneten Selbstoptmierungswahn zu verfallen, der dich schnurstracks an deinem eigentlichen Wunsch eines erfüllenden Lebens vorbeirennen lässt. Und dir dabei behilflich sein, ein gesunden Mittelmaß des an sich Arbeitens zu finden, der den Weg zu deinem ganz persönlichen Glück ebnet.
Selbstoptimierer beobachten, messen, disziplinieren – und verbessern sich?
Die Neigung zum Bewerten, Vergleichen, Optimieren haben wir alle. Ich finde, heute ist die Wettbewerbsorientierung in nahezu allen Lebensbereichen spürbar. Und das geht schon ganz früh im Leben los. Denk doch mal an die Schule. Stell dir Josephine, 9 Jahre, vor, die eine 2+ in Mathearbeit geschrieben hat. Anstelle sich darüber zu freuen, geht ihr erster Blick rüber zu ihrem Sitznachbar Jens. Gerade so konnte sie einen Blick auf seine Note erhaschen: 1-. Und schon ist die Euphorie über ihre gute Note dahin. In der nächsten Mathearbeit werde ich auf jeden Fall besser sein als Jens, denkt sie sich. Und wenn sie es nicht denkt, dann ihre Eltern, die ja eigentlich nur das Beste für ihr Kind wollen. Die Fortsetzung der Lebenslaufpolitur erfolgt im Studium: Noch ein Wahlfach mehr, ein Auslandssemester, mehrere renommierte Praktika. Um das alles schaffen zu können, wird ordentlich optimiert: An der Lernstrategie. Am Zeitmanagement. Am Selbstmanagement. Denn damit scheint wohl alles zu schaffen. Effizienter im Job? Geht immer! Noch schöner oder fitter? Auch, wenn du nur die richtigen Fitness-Apps nutzt, die besten Ernährungsprogramme auswählst und dabei fleißig dokumentierst…
Willkommen im Zeitalter der Selbstoptimierung
Dass du dich mit einer derartigen Effizienz-Denkweise vor allem selbst unter Druck setzt, wird dir gerade deshalb nicht bewusst, weil es Jeder tut. Die Möglichkeiten, sich selbst zu messen, zu beobachten, zu analysieren sind durch den rasanten Fortschritt der Digitalisierung und Technisierung nahezu grenzenlos geworden. Es scheint als gäbe es nichts, was dein Smartphone nicht kann. Egal ob deine Schritte oder deine Kalorien zählen, deine Schlafqualität oder deinen Herzschlag messen. Mit nur einem Klick stehen dir nahezu alle denkbaren Infos über dich zur Verfügung. Wieso dieses Mehr an Wissen also nicht nutzen?
Sich selbst zu beobachten und an sich zu arbeiten ist sicherlich nichts Neues. Ich fand es total spannend als ich herausgefunden habe, dass es bereits in der Antike solche Versuche gab. Es wurden alte Protokolle und Dokumente gefunden, die darauf hinweisen, dass auch die Menschen der Antike sehr genau beobachtet haben, was sie so treiben. Und das ist natürlich auch gut so, denn in der Regel gilt: Selbstreflexion? Ja, bitte!
Allerdings hat dieser Fokus auf das Ich eine ungeahnte Dynamik erreicht, die sich mittlerweile fast selbst überholt: Dem Prototyp des modernen Individuums, das in einer Epoche des Bewusstseinskults lebt. Jeder ist bestrebt, alles bewusst zu machen: bewusst zu essen, bewusst zu atmen, bewusst zu entscheiden, bewusst zu entspannen. In unserer Gesellschaft laufen wir damit Gefahr, dass sich Bewusstsein und Bewusstheit zu einer professionell-kühlen Lebensstrategie entwickelt. Bei der Selbstkontrolle als oberstes Gebot gilt! Und, noch schlimmer: Bei der du deinen Selbstwert im schlimmsten abhängig davon machst, ob du die Ziele, die deine Fitness-App dir anzeigt, auch geschafft hast.
Ohnmachtsgefühle sind unkontrollierbarer Stress, die du am liebsten vermeiden würdest
Du hast durchaus gute Gründe, dir dein Leben gänzlich bewusst machen und im nächsten Schritt kontrollieren zu wollen. Es gibt eine einfache Erklärung dafür, dass du Berechenbarkeit grundsätzlich lieber hast als Unsicherheit, vor allem hinsichtlich deines eigenen Lebens. Kontrolle und Sicherheit gehören zu den elementaren Grundbedürfnissen, die alle Menschen teilen.
Sobald du merkst, dass du Dinge, die dich und dein Leben unmittelbar betreffen, nicht gänzlich in der Hand hast, wirst du nervös. Treten dann noch negative Erfahrungen auf, fühlst du dich der vermeintlichen Willkür des Lebens schutzlos ausgeliefert. Einfluss auf die Geschehnisse in deinem Leben nehmen zu können, ist elementarer Bestandteil deines Wohlbefindens. Ist dieses Bedürfnis nach Einflussnahme verletzt, schrillt deine Alarmglocke, denn Unkontrollierbarkeit führt zu Ohnmacht und Hilflosigkeit. Dasselbe gilt, wenn alle Menschen lautstark zu verstehen geben, dass du dein Leben wunderbar und eigenständig gestalten kannst. Wenn du dann nicht das Beste daraus gemacht hast, dann bist du selbst schuld. Noch so was unangenehmes, das man am liebsten nicht fühlen will. Denn wer will schon Schuld daran sein, nicht alle Chancen genutzt zu haben?!
Klar, dass du so wie alle Menschen, denen es so geht, versuchst, derartige Empfindungen beiseite zu schieben.
Die Folge: Achtung Selbstoptimierungsfalle!
Oder noch besser: Im Vorfeld alles dafür zu tun, dass es gar nicht zu solch unbeeinflussbaren Situationen kommt. Und an dieser Stelle kommt es nun häufig zu Fehlannahmen und dem Trugschluss, dass perfekte Inszenierungen und Selbstoptimierungen etwas gegen diese als negativ und bedrohlich bewertete Unkontrollierbarkeit oder vermeintliche negative Bewertungen deines Umfelds tun könnten.
In Wahrheit solltest du dich jedoch einfach damit abfinden, dass es Dinge gibt, die außerhalb deines Kontrollbereich liegen. Da dir aber überall beigebracht wird, dass du nur dieses einzige Leben hast, und dies ja nun möglichst gut nutzen sollst, öffnet sich genau an diesem Punkt die Selbstoptimierungsfalle: Hier lauern utopische Erwartungen an ein perfektes, weil vermeintlich gänzlich kontrollierbares Leben.
Perfekt = glücklicher?
Problematisch wird das Anspruchsdenken an dich selbst vor allem dann, wenn du davon überzeugt bist, dir läge mit einem perfektem Ich die Welt zu Füßen: Du hättest deinen Traumjob, den idealen Lebenspartner, das schönste Anwesen auf Erden, die allerbesten Freunde – wenn du hier und da nur ein klein wenig besser wärst. Denn dann wirst du jedes Misslingen auf die von dir erlebte Insuffizienz zurückführen, was dich natürlich alles andere als glücklich macht. Je mehr du nach Perfektion strebst, desto unzulänglicher bist oder fühlst du dich.
Oder um es in den Worten von Charles F. Kettering zu sagen:
Selbstoptimierung als Weg zum Glück? Die Dosis macht das Gift!
Versteh mich bitte nicht falsch: Der prinzipielle Glauben daran, etwas ändern zu können und sich als selbstwirksam zu sehen, ist wünschenswert und wichtig!
Du bist definitiv keine Marionette, kein Spielball äußerer Einwirkungen und Kräfte, sondern kannst und sollst dein Leben aktiv beeinflussen und mitgestalten. Dabei helfe ich dir gern!
Dies heißt jedoch nicht, sich wegen allem und jedem verrückt zu machen und alles kontrollieren zu wollen. Manchmal ist es durchaus ratsam, Dinge einfach zu akzeptieren und sich weniger Gedanken zu machen. Dies gilt auch in Bezug auf sich selbst.
Natürlich sind Selbstbeobachtung, Selbsterkenntnis und Selbstreflexion unverzichtbare Bestandteile jeder Persönlichkeits- und Weiterentwicklung und damit eines langfristig erfüllenden und befriedigenden Lebens. Damit ist jedoch kein 24-Stunden-Selbstscan gemeint, bei dem im Minutentakt Ideen zur Selbstverbesserung generiert werden.
Permanente Selbstaufmerksamkeit schadet nämlich oft mehr, als dass sie hilft, denn deine Aufmerksamkeit ist in Wahrheit viel beschränkter, als du wahrscheinlich glaubst: Wenn du dich stark und bewusst auf etwas konzentrierst, klappt es in der Regel viel schlechter, als wenn du es automatisch und intuitiv machst. Das Zu-Viel Denken kann sich also durchaus negativ auswirken. In der Kognitionswissenschaft nennt man dies paradoxer Effekt des Denkens. Je stärker du mental fokussierst, desto schlechter sind deine Ergebnisse. Natürlich gilt das nicht immer, aber öfter als du denkst! Gelingt es dir, die Angelegenheit loszulassen und abzuschalten, kommt plötzlich ein guter Einfall oder die Problemlösung.
Ein anderes Beispiel, das du sicherlich auch schon einmal erlebt hast, bei dem zu viel Aufmerksamkeit schadet, sind Schmerzen. Lenkst du deine Aufmerksamkeit darauf und denkst ununterbrochen an dein Leiden, lässt der Schmerz etwa nicht nach, sondern nimmt eher noch zu. Auf die gleiche Weise kann zu viel Selbstaufmerksamkeit schaden. Der übertriebene Fokus auf das Ich, auf Kontrolle und Effizienz blockiert dich selbst. Er verhindert, dass du in den Flow kommst und Glücksmomente empfindest.
Was heißt das nun für dich?
Das bedeutet natürlich nicht, dass du einfach blauäugig in den Tag hineinleben, nie über deine Entscheidungen, Fehler und Erfolge nachdenken sollst und keine Weiterentwicklungs- und Selbstverbesserungswünsche haben sollst. Die hat schließlich jeder. Es spricht durchaus viel für Selbstoptimierung:
- Dich selbst zu messen, motiviert dich.
- Erfolge spornen an und machen glücklich.
- Selbstbeobachtung schafft ein Selbstbewusstsein. Du lernst dich besser kennen, lebst bewusster.
- Selbstoptimierung kann dich zu Selbstdisziplin erziehen, die bei der heutigen Überfülle an Angeboten mehr als hilfreich ist.
Wichtig ist bei der ganzen Sache nur, dass es dir – wie bei vielen anderen Dingen auch – gelingt, einen gesunden Mittelweg zu finden.
Selbstoptimierung JA, aber bitte mit Augenmaß!
Achte darauf, dass du es in puncto Kontrolle und Selbstoptimierung nicht übertreibst und es zu keiner „Überdosierung“ kommt. Denn das hemmt deine Spontanität und wirkt sich im Alltag oft kontraproduktiv aus. Denk immer daran: Wer die mentale Optimierung zu wichtig nimmt, erreicht genau das Gegenteil. Selbstoptimierung JA, aber bitte mit Augenmaß!
Wenn du dich selbst eher zu den Menschen zählen würdest, die ein hohes Selbstkontrollbedürfnis haben, habe ich hier einen Auftrag für dich: Nimm dir vor, spontan zu sein.
Zugegeben ist diese Aufforderung etwas paradox :-). Prinzipiell geht es einfach darum, dir Momente freizuschaufeln oder selbst zu schaffen, in denen du komplett abschalten kannst. Mit komplett abschalten meine ich Zeit, die nicht „genutzt“ werden muss. Sondern, in der du dir schlicht und einfach eine Pause von dir und deinen selbstbezogenen Gedanken gönnst. Egal ob Musik hören, Sport beziehungsweise Yoga machen, oder dich einfach in einen Bus setzen und schauen, wo dieser dich rauslässt. Hauptsache du hast keine Erwartungen an dich oder die Tätigkeit. (Hier findest du noch ein paar weitere Inspirationen.) Probiere es aus, es lohnt sich und schützt dich davor, in die Selbstoptimierungsfalle zu tappen. Der Schuh drückt eben umso mehr, je stärker du dich darauf konzentrierst ;-).
Falls du das Thema spannend findest, kann ich dir das wunderbare Buch Healthstyle 2 l Ein Trend wird erwachsen: Das Zeitalter der Selbstoptimierer von Corinna Mühlhausen und Peter Wippemann empfehlen. Du findest es hier.
Ich bin sehr gespannt auf deine Kommentare und Anregungen: Wie schaffst du es, das rechte Maß an Balance aus „sich selbst optimieren“ und das Leben leben sein zu lassen, hinzubekommen? Was ist dein Tipp an Messjunkies, deren Perfektionswahn sie am Ende unglücklicher zurück lässt als sie es eigentlich intendiert haben???
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