Jeder scheint ihn zu kennen, jeder scheint ihn zu haben und jeder hätte gerne ein wirksames Rezept dagegen – du wohl auch. Ich spreche von einem dich scheinbar ständig umgebenden Begleiter: Dem Stress. Obwohl das Phänomen in unserer Gesellschaft so weit verbreitet ist, kennen sich nur die wenigstens richtig damit aus.
Im Gegenteil: Es haben sich zahlreiche Mythen rauskristallisiert, die tapfer weitergegeben werden und in wahre Denkfallen münden. Die dir nicht weniger Stress bescheren. Ganz im Gegenteil. Sie sind sogar leider häufig der Grund, wieso du dich dann tatsächlich gestresst fühlst.
Solche irrtümlichen Gedanken und Ideen rauben dir unnötigerweise Energien und verringern deine Widerstandskraft und deine Ressourcen, die du „im Kampf“ gegen deinen Stress dringend benötigst. Dieser Artikel ist ein Minitraining. Ich möchte gemeinsam mit dir solche schädlichen Denkfallen entlarven, die sich wahrscheinlich auch bei dir und deinem Stresserleben eingeschlichen haben. Und dir zeigen, wie du diese ganz einfach in für dich hilfreiche Gedankengänge und Bewältigungsstrategien umwandeln kannst. Du wirst sehen, dass du dich mit dem richtigen Blick auf deinen Stress gleich deutlich weniger gestresst fühlst ;-).
Denkfalle 1: „Mein Stress entsteht durch äußere Umstände.“
Dieser Aussage wirst du vermutlich intuitiv zustimmen. Ich gebe zu, dass sie in erster Näherung ziemlich überzeugend ist. Vielleicht lässt sie sich mit Blick auf deinen Alltag sogar bestätigen.
Wenn die Deutsche Bahn ihrem Ruf zum Beispiel mal wieder alle Ehre macht, du unter Zeitdruck gerätst und einen sehr (!) wichtigen Termin hast. Dann fühlst du dich macht- und hilflos, dein Stresspegel steigt. Du kannst mir aber glauben, wenn ich dir sage, dass dich deine eigene Bewertung der Situation viel mehr stresst als die Umstände an sich.
Das erklärt auch warum es einigen gelingt, in solchen Situationen cool zu bleiben, während andere innerlich am Durchdrehen sind.
Leider neigst du außerdem dazu, deine Bewältigungsfähigkeiten meist schlechter einzuschätzen, als sie in Wirklichkeit sind. Versuche dich mal an eine Situation zu erinnern, in der du tatsächlich gescheitert bist. Ich wette, dir fallen schneller Situationen ein, in der dein Stress völlig umsonst war. Häufig stecken unrealistische Glaubenssätze hinter deinem Stressaufkommen. Versuche, solchen Fehleinschätzungen („wenn ich nicht alles perfekt mache, dann…“) auf die Schliche zu kommen und sie möglichst zu unterbinden. Das sorgt wirkungsvoll dafür, dass du weniger Stress verspürst. Denn es ist, wie Epikur es schon längst erkannte:
„Es sind nicht die Dinge, die uns stören; es ist die Art, wie wir sie betrachten.“
– Epikur
Lass uns die Aussage also wie folgt umformen: „Mein Stress entsteht durch meine Wahrnehmung der Situation/der äußerem Umstände.“
Und daran kannst du aktiv arbeiten. Versuche, potentiell stressigen Situationen entgegenzuwirken, in denen du sie in etwas Positives verwandelst. Ich habe mir beispielsweise angewöhnt, lange Autofahrten als „Mit Freunden und Familie-Telefonier-Zeit“ zu nutzen. Dadurch verwandelt sich sogar ein prinzipiell nervenaufreibender Stau in echte quality-time.
Denkfalle 2: „Nur wenn wirklich etwas Schlimmes passiert ist, bin ich tatsächlich gestresst. Vorher muss ich nicht aktiv werden.“
Stress muss nicht immer gleich Hollywood Niveau haben. In deinem Alltag wird es wohl eher selten explodierende Autos oder wilde Verfolgungsjagden geben. Ein häufig verbreiteter Irrglaube ist, dass schlimme Einzelereignisse wie ein schwerer Unfall oder ein Todesfall besonders starken Stress erzeugen und sich deshalb besonders negativ auf deine Gesundheit auswirken.
In Wahrheit gesundheitsschädigender und leider auch häufiger sind Alltagsbelastungen, die sogenannten daily hassles: Du verlegst den Schlüssel, hast Streit mit jemandem oder steckst – mal wieder – im Stau. Diese Mikrostressoren sind deshalb so gefährlich, weil sie häufig über viele Jahre andauern und irgendwann als normal angesehen werden. Das heißt für dich: Du nimmst überhaupt nicht wahr, dass dein Stressfass durch solche Ministressoren immer voller läuft.
Vielleicht kommt dir sowas hier vertraut vor: „Was sind denn meine kleinen Unannehmlichkeiten gegen die Probleme meiner Nachbarin, die gerade Krebs diagnostiziert bekommen hat?“ Diese Denkweise ist deshalb problematisch, weil du dann keine Notwendigkeit erkennst, dich um dich selbst zu kümmern. Obwohl die durchaus besteht! Denn wenn sich diese Mikrostressoren summieren und du ihnen nicht entgegenwirkst, kommt es irgendwann tatsächlich zum „big bang“.
Lass uns die Aussage also wie folgt umformulieren: „Ich sollte auch tägliche Ministressoren wahrnehmen und ihnen durch kontinuierliche Selbstfürsorge präventiv entgegenwirken“. So verhinderst du frühzeitig, dass sich deine daily hassles zu einem Stress-GAU entwickeln.
Denkfalle 3: „Was kann ich tun, um Stress zu vermeiden?“
„Nie mehr Stress“ – hinter diesem Slogan stecken leere Versprechungen. Du wirst niemals ein Leben ohne Belastungen führen!
Dein Körper schüttet Stresshormone aus, wenn du morgens aufwachst, um dich in Schwung zu bringen. Geräusche, ob Straßenverkehr oder Babygeschrei, alarmieren dein Gehirn. Sogar ein leidenschaftlicher Kuss ist Stress. Du solltest dich also nicht immer nach weniger Stress sehnen ;-).
Es sollte also nicht dein Ziel sein, Stress zu verbannen oder ihn zu verteufeln. Der Grund, warum du das instinktiv gerne tun würdest, ist der Mythos, Stress sei per se etwas Schlechtes.
Dem ist nicht so. Im Gegenteil: Stress macht dich fit für Herausforderungen. Dein höchstes Leistungsniveau kannst du abrufen, wenn du mittelmäßig gestresst bist. Dann bewältigst du schwierige Situationen besser. Stress macht dich hellwach und reaktionsschnell und lässt dich auf Belastungen adäquat reagieren.
Entscheidend für die Wirkung des Stresses ist nicht, ob du welchen hast, sondern wie du ihn bewertest. Wie du über deinen Stress denkst.
Deine Einstellung gegenüber Stress hat Einfluss auf deine körperliche Stressreaktion! Genau das zeigen mehrere Forschungsarbeiten, wie beispielsweise die Untersuchungen von Alia Crum, Psychologin der Stanford University. In einem ihrer Experimente teilte sie die Studienteilnehmer zufällig in zwei Gruppen ein. Beide Gruppen sahen ein Video. Eines davon vermittelte, dass Stress schwächend wirke. Das andere, dass Stress stärkt. In nachfolgenden Stresstest zeigten sich klare Unterschiede. Die physiologische Stressreaktion der Teilnehmer in der ersten Gruppe fiel deutlich moderater und kürzer aus. Der Herzschlag beruhigte sich schneller und die Adern verengten sich auch nicht so.
Nutze diese Mindset-Effekte als Bewältigungsstrategie. Frage dich nicht, was du tun kannst, um Stress zu vermeiden. Versuche, Stress als hilfreiche Aktivierung von Ressourcen zu sehen – so kannst du seine Auswirkungen auf deine Gesundheit positiv beeinflussen. Ich habe hierzu ein tolles Video von der amerikanischen Gesundheitspsychologin Kelly McGonnigal gefunden, in dem sie erklärt, wie es dir gelingt, Stress zu deinem Freund zu machen.
Denkfalle 4: „Nur Schwächlinge kümmern sich um ihren Stress.“
Würdest du dieser Aussage zumindest in Teilen zustimmen? Oder kennst du vielleicht Menschen, die diese Frage bejahen würden?
Leider habe ich den Eindruck, dass viele das tun würden. Stress wird immer noch von vielen – völlig zu Unrecht – als Zeichen von Schwäche gesehen. Für die es scheinbar nicht zusammen passt, auf der einen Seite die Rolle eines geschätzten, erfolgreichen, leistungsstarken und ehrgeizigen Menschen einzunehmen und sich andererseits einzugestehen, dass das Stressempfinden auch vor ihnen keinen Halt macht. Was ja an sich absolut nicht tragisch ist.
Problematisch ist diese von vielen angenommene Stress-Immunität vor allem aufgrund der Verhaltenskonsequenzen, die sich daraus ergeben. Oder in diesem Falle besser gesagt, die sich eben NICHT ergeben.
Denn wenn du denkst, Stress kann dir nichts anhaben und er wird früher oder später sowieso von ganz alleine verschwinden, wirst du dich auch nicht um ihm kümmern. Und da muss ich dich leider enttäuschen: Von alleine vergeht gar nichts. Außer die Zeit. Dein Stress hingegen wird, wenn du nichts dagegen unternimmst, eher noch schlimmer. Grund dafür sind unter anderem deine Stresshormone. Sie lassen nämlich deinen Blutdruck in die Höhe schnellen. Wenn sie dauerhaft ausgeschüttet werden, kann dein Körper überhaupt nicht mehr zur Ruhe kommen; das Risiko, dass du einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleidest, ist erheblich erhöht. Und zwar umso mehr, je mehr du ein negatives Stress-Mindset hast (siehe Denkfalle 3).
Lass uns also die Aussage „Nur Schwächlinge kümmern sich um ihren Stress“ wie folgt umformulieren: „Stress ist ein Warnsignal meines Körpers, das ich ernst nehmen sollte“.
Wie erkenne ich, dass ich zu viel Stress habe?
Um weniger Stress zu haben, musst du ihn also im ersten Schritt wahrnehmen. Du fragst dich, wie du Stress, vor allem das „Zu viel“ erkennen kannst? Dann habe ich hier genau den richtigen Artikel für dich. Darin habe ich beschrieben, wie du bemerkst, dass dein Stresslevel zu hoch ist. Damit es nicht nur beim Erkennen deines Stresspegels bleibt, solltest du dich im nächsten Schritt schleunigst darum kümmern, dass das „sich gestresst fühlen“ nicht dein dauerhafter Gemütszustand ist. Gib deinem Körper die Chance, sich zu erholen. In diesem Artikel habe ich eine Menge an Empfehlungen und Anregungen mit 100%tiger Entspannungsgarantie für dich zusammengestellt – da wird sicherlich etwas für dich dabei sein.
Denkfalle 5: „Jedes nervige Ereignis ist gleichzusetzen mit Stress.“
Wie oft verwendest oder hörst du das Wort „Stress“ oder irgendwelche Ableitungen aus dieser Wortfamilie, wie „stressig“, „stressend“, „stressreich“? Ich bin mir fast sicher, dass das doch das ein oder andere Mal vorkommt ;-).
Warum ist das so? Die Antwort auf die Frage ist mit deiner Definition von Stress verknüpft: Je nachdem, was du unter Stress verstehst, wirst du mehr oder weniger viele Situationen, Konstellationen und Umstände als stressig deklarieren.
Ich möchte dir deshalb eine Stress-Definition von Kelly McGonigal vorstellen. Und dir danach erklären, wieso ich dir ihre Begriffsbestimmung und die dahintersteckende Ansicht sehr empfehle. Sie sieht Stress als etwas an, das entsteht, wenn etwas, das dir am Herzen liegt, in Gefahr ist. Und eben nicht bereits, wenn du einen vollen Terminkalender hast oder irgendetwas in deinem Tagesablauf nicht nach Plan läuft. Kelly McGonigal hat also eine eher strengere, restriktivere Vorstellung von dem, was du tatsächlich als Stress bezeichnen solltest.
Du fragst dich jetzt vielleicht, ob es für dich und dein Stresserleben einen Unterschied macht, was du unter Stress verstehst? Ich sage dir: Und ob, sowas von!
Lass mich dir das kurz erklären und durch ein persönliches Beispiel veranschaulichen. Wenn du dazu neigst, jegliche Abweichungen und Unvorhersehbarkeiten als Stress wahrzunehmen, wirst du ziemlich leicht und schnell davon überzeugt sein, dass du dauergestresst bist. (Denn diese gibt es massenhaft – das ist der ganz normale alltägliche Wahnsinn ;-).)
Stress ist nicht gleich Stress!
Im Frühjahr 2016 kam mein Mann mit Verdacht auf Herzinfarkt ins Krankenhaus. Nach der Definition von McGonigal also eindeutig Stress. Das kann ich definitiv bestätigen. Anders sieht es bei einem anderen Vorfall aus. Als ich in Regensburg war, um ein Seminar abzuhalten, hat mein Auto den Geist aufgegeben. Es hat schlicht und einfach gestreikt und sich keinen Meter mehr bewegt – und das 300 Kilometer entfernt von meinem Heimatort.
Was dann passiert ist? Ich brauchte einen Mietwagen und mein Auto wurde in die nächstgelegene Werkstatt gebracht. Kurz darauf war klar: Motorschaden. Nichts mehr zu machen, das Auto ist definitiv hinüber. War das Stress für mich? Früher hätte ich gesagt: „Ja.“.
Heute bin ich anderer Meinung. Warum? Ich habe zwar mein Auto schon gemocht. Trotzdem war es nichts anderes als ein Gebrauchsgegenstand für mich. Nichts, was nicht ersetzbar ist. Ich selbst war nicht in Gefahr.
Das heißt: Die Geschichte mit dem Auto war sehr wohl lästig und nervig… aber es ist kein Stress. Durch diese Unterscheidung ist es mir im nächsten Schritt ganz leicht gefallen, nicht an die Decke zu gehen.
Was ich dir damit sagen will: Wenn du keine gedankliche Differenzierung vornimmst, werden sich auch deine Emotionen, Gefühle und dann auch Reaktionen, mit denen du diesen Situationen begegnest, nicht unterscheiden. Du siehst überall Stress und bringst dein Stresssystem selbst zum Laufen. Lass das einfach bleiben.
Anstelle davon auszugehen „Jedes nervige Ereignis ist gleichzusetzen mit Stress“ frag dich zukünftig in scheinbar „stressigen“ Situationen: „Ist das echter Stress oder ist es einfach nur lästig“?
Der Weg ist das Ziel
Das waren sie – sehr verbreitet Denkfallen über Stress, in die du jetzt hoffentlich nicht mehr tappst. Und nun bist du an der Reihe: Wenn du dich künftig in stressigen Situationen bei den einen oder anderen obigen dysfunktionalen Überlegungen erwischt, versuche inne zu halten und sie durch die umgewandelten Gedankengänge zu ersetzen!
Ich kann dich an dieser Stelle beruhigen: Es ist normal, dass dir das am Anfang schwer fallen wird. Höchstwahrscheinlich halten sich deine Stress-Assoziationen ja auch schon eine Weile hartnäckig in deinem Kopf ;-). Deshalb ist es wichtig, dass du dran bleibst und dich nicht gleich entmutigen lässt. Fruchtbare Veränderungen brauchen Zeit und lassen sich nicht auf Knopfdruck einstellen. Ich bin unheimlich gespannt auf deine Erfahrungen mit umgewandelten Gedankengängen!
Lasse mich in einem Kommentar wissen, welchem Stressmythos du selbst ab und an aufsitzt. Und wie dir die konkrete Umsetzung meiner Anregungen gelingt, ob du dadurch auch wirklich weniger Stress erfährst. Und natürlich auch, ob ich dich dabei noch irgendwie unterstützen kann. Im Laufe der Zeit werde ich dir auf jeden Fall viele weitere Ideen liefern, mit denen du dem Stress vorbeugen oder aber ihm den Kampf ansagen kannst – sei gespannt :-).
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