„Du bist nicht gut genug.“ „Das schaffst du nie.“ „War eh klar, dass das nicht klappt.“ „Mit dir will niemand etwas zu tun haben.“  Sicher kennst du diese innere Stimme, die an allem, was du tust, etwas aussetzt. Die nie zufrieden mit dir ist und oft so überzeugend ist, dass du ihr jedes Wort glaubst. Wahrscheinlich hast du bereits versucht, diesen inneren Stimmen entgegenzuwirken und bemerkt, wie schwierig es ist, gegen ihn anzukommen. In diesem Artikel zeige ich dir, woher dein innerer Kritiker seine Macht bezieht. Beim Lesen gewinnst du ein besseres Verständnis für diesen Teil von dir und schaffst die Grundlage für einen besseren Umgang mit ihm.

Häufig sprechen wir vom inneren Kritiker, als wäre er eine eigenständige Person. Als wäre er irgendjemand ganz anderes, eine losgelöste Macht mit einem Eigenleben. In gewisser Weise stimmt das und fühlt sich auch so an. Trotzdem ist mir wichtig, dass du verstehst, dass der innere Kritiker am Ende des Tages eben doch (nur) ein Teil von dir ist. Er gehört zu dir. Bitte behalte das im Hinterkopf, wenn ich in diesem Artikel vom „inneren Kritiker“ rede.

Dein innerer Kritiker = dein eingeübtes Schutzprogramm

Der innere Kritiker kann schon ein echt gemeiner Zeitgenosse sein. Er glaubt, ganz genau zu wissen, wer du bist, was du kannst, was du darfst und was nicht. Ein bisschen wie die lästigen Besserwisser aus der Schule. Dieser Teil von dir macht dir Vorschriften, bremst dich und hält dir deine Schwächen vor. Da stellt sich doch die Frage: Was will der überhaupt?

Die Antwort: Er will dich schützen. 

Im ersten Moment mag es dir schwerfallen, in den Attacken deines inneren Kritikers eine gute Absicht zu erkennen. Immerhin beschimpft er dich wie ein Rohrspatz.

Paradoxerweise ist das, was er dir an den Kopf wirft, das, wovor er dich schützen will. Wenn er dir zuraunt, dass du dich bei deinem Vortrag blamierst, hat er genau davor Angst. Er macht sich Sorgen um dich und befürchtet, dass etwas bei deinem Vortrag schiefgeht, dass andere Menschen dich kritisieren und du dich schlecht fühlst.

Als du noch ein Kind warst, haben deine Eltern diese schützende Rolle übernommen.

Lass mich an dieser Stelle eine kurze Geschichte mit dir teilen, die ich neulich bei einem Spielplatzbesuch mit einer Freundin erlebt habe. Wir saßen auf der Bank, von der aus wir einen ziemlich guten Blick auf das Klettergerüst hatten. Durch Zufall wurde ich Zeugin einer Situation, die ich mir für diesen Artikel nicht besser hätte ausdenken können:

Ein kleines Mädchen, etwa 5 Jahre alt, rannte voller Begeisterung zum Klettergerüst und kletterte drauf los. Die Mutter beobachtete diese Szene, das Gesicht in Falten gelegt. Als das Mädchen ganz oben angekommen war und seiner Mutter stolz zurief, antwortete diese: „Komm da lieber runter, du fällst noch und tust dir weh!“

Was glaubst du, warum sagt eine Mutter sowas zu ihrem Kind? Will sie, dass es sich weh tut? Wohl kaum.

Kann sie in die Zukunft sehen? Unwahrscheinlich.

Natürlich ist diese Aussage keine Todesprophezeiung. Sie ist Ausdruck einer Bitte und starker Gefühle. Man könnte sie wahrscheinlich so übersetzen: „Bitte sei vorsichtig und halt dich gut fest. Ich mache mir Sorgen um dich.“

Die Aufgabe deiner Eltern war es, dafür zu sorgen, dass du deine Kindheit unbeschadet überstehst und dein Leben erfolgreich meistern kannst. Genauso wie alle anderen Menschen, die in deinem Umfeld wichtig für dich waren wie zum Beispiel Eltern von Freunden, Kindergartentanten und -onkel oder deine Lehrer.

Aus ihrer Kritik, ihren Geboten und Verboten hast du mit der Zeit ein eigenes Schutzsystem entwickelt – deinen inneren Kritiker.

Seine Aufgabe ist es, dich vor schlechten Erfahrungen und Gefühlen zu schützen.

Hand in Hand geht er einher mit deinen inneren Antreibern. Das sind sozusagen verinnerlichte Steuerungssysteme, die immer dann anspringen, wenn du dich gerade nicht gut fühlst. Diese geben dir vor, wie du zu denken, zu fühlen und dich zu verhalten hast. Wenn du mehr über innere Antreiber erfahren möchtest, lies den Start in diesem Artikel.

Auch deine inneren Antreiber haben eine Schutzfunktion. Je nachdem, welche Gefühle für dich am unangenehmsten sind, wirken bestimmte Antreiber bei dir stärker als andere. Ist es für dich zum Beispiel die Hölle, dich schuldig zu fühlen, weil du einen Fehler gemacht hast, wird dein Sei-perfekt-Antreiber mit aller Kraft versuchen, das zu verhindern. Wenn du Angst davor hast, verlassen zu werden, sorgt dein Mach-es-allen-recht-Antreiber dafür, dass du dich möglichst gefällig verhältst und keinem auf den Schlips trittst.

Aus dieser schon früh verinnerlichten Schutzfunktion zieht der innere Kritiker unglaublich viel Kraft.

Er hat so viel Einfluss auf dich, weil er dich vor noch unangenehmeren Gefühlen schützen will. Dieser Teil in dir will verhindern, dass du dich schämst, dich schuldig oder minderwertig fühlst. Genau deswegen ist dein innerer Kritiker so mächtig.  Hinzu kommt, dass er dich seit deiner Kindheit begleitet – du bist also an ihn gewöhnt.

Innerer Kritiker: In geheimer Mission mit dem Anspruch auf Richtigkeit

Seine Macht vergrößert sich, wenn dein innerer Kritiker im Verborgenen agieren kann. Den meisten Menschen ist in vielen Situationen überhaupt nicht klar, dass gerade der innere Kritiker mit ihnen spricht. Ein Teil von ihnen, der die eben beschriebene Funktion übernimmt. Nicht mehr und nicht weniger.

Sie denken, alles was er sagt, wäre wahr.

Vielleicht hörst du dich auch öfter mal Dinge sagen wie:

  • „Das ist dumm von mir.“
  • „Ich muss aufhören, so zimperlich zu sein.“
  • „Das kann ich nicht.“
  • „Ich mache alles falsch.“

Solche herabwürdigenden Aussagen und Befehle sind meistens ein Zeichen dafür, dass dein innerer Kritiker gerade am Steuer steht.

Wenn du dir nicht bewusst darüber bist, was dein innerer Kritiker und deine Antreiber dir eigentlich vermitteln möchten und was hinter dieser Selbstkritik steckt, hinterfragst du solche Aussagen nicht.

Du glaubst tatsächlich daran, dass du alles falsch machst, anstatt zu realisieren, dass nur dieser eine Teil von dir – dein innerer Kritiker – dir das gerade „einreden“ will.

Soziale Interaktionen als gefundenes Fressen

In bestimmten Situationen und im Zusammenspiel mit bestimmten Personen wird dein innerer Kritiker besonders aktiv. Das hängt mit deinen inneren Antreibern zusammen.

Nehmen wir mal an, du bearbeitest auf der Arbeit eine bestimmte Aufgabe und hast einen starken „Sei-perfekt-Antreiber“. Dann ist es dir ein Bedürfnis, die Aufgabe so fehlerfrei und perfekt wie möglich zu erledigen. Im Gespräch mit deinem Vorgesetzten rechtfertigst du dich für jede Kleinigkeit, nimmst ihm jede mögliche Kritik, Ergänzung oder Hinweis vorweg, in dem du auf x, y und z hinweist. Dein Antrieb: Er soll WIRKLICH sehen, dass du bemüht bist, dich voll reinhängst und an alles denkst. Damit er dir nicht vorhalten kann, du hättest deine Arbeit nicht perfekt genug gemacht.

Das unterbewusste Ziel deines Antreibers in dieser Situation ist es, von deinem Vorgesetzten für deine Leistung anerkannt zu werden. Du hast Angst davor, dich schuldig zu fühlen und dich zu schämen, weil du einen Fehler machst. Deshalb achtest du so sehr darauf, perfekt zu sein.

Deinem Vorgesetzten kann dieses Verhalten allerdings ganz schön sauer aufstoßen. Du gibst ihm nicht die Gelegenheit, irgendetwas hinzuzufügen. Er bekommt das Gefühl, dass sein Feedback nicht erwünscht ist, dass er überflüssig ist. Für ihn kommt dein Wunsch nach Anerkennung möglicherweise so rüber, als würdest du dich über ihn stellen wollen und sowieso alles besser wissen.

Wenn du Pech hast, reagiert er mit Ablehnung und Kritik. Je mehr du dann versuchst, Anerkennung für deine Leistung zu bekommen, desto schlechter gelingt es dir. Dein Antreiber schlägt daraufhin noch lauter Alarm. Und du versuchst, noch perfekter zu sein.

Da die Ursache für die Kritik aber gar nicht deine Leistung, sondern vielmehr dein perfektionistisches Verhalten an sich war, wird dein Vorgesetzter von deinen erneuten Hinweisen, Aussagen und Versuchen noch genervter sein – und du erreichst genau das Gegenteil von dem, was du dir wünschst.

Ich will dir diese Dynamik an einem konkreten Beispiel erklären.

Stell dir vor, du sollst in einem Meeting einen Vortrag halten, in dem du die Beteiligten über dein aktuelles Projekt informierst. Natürlich hast du dich beispiellos vorbereitet und in deinem Kopf auch schon jedes mögliche Szenario durchgespielt, damit du auf alles eine Antwort hast.

Während du deinen auswendig gelernten Monolog hältst, stellt ein Kollege eine kritische Zwischenfrage. Sofort spannt sich dein ganzer Körper an. Dein Blick ist ernst und starr. Noch bevor er seinen Satz beenden kann, fällst du ihm ins Wort und alle möglichen Rechtfertigungen und Ergänzungen sprudeln aus dir heraus. Dein Kollege soll wissen, dass du alles perfekt durchdacht hast.

Dein besserwisserisches und vorlautes Auftreten gefallen ihm aber ganz und gar nicht. Er fühlt sich von dir nicht ernst genommen. Du hast seine Kompetenz untergraben. Im Verlauf des Meetings widerspricht er dir, wann immer er kann. Sein Ziel ist es nun, einen Fehler zu finden. Zu beweisen, dass du nicht so perfekt bist, wie du tust.

Diese permanente Kritik und Ablehnung sind Gift für deinen Sei-perfekt-Antreiber. Je mehr dein Kollege dich kritisiert, desto zwanghafter konterst du mit Belehrungen und Rechtfertigungen. Und desto schlechter fühlst du dich. Am Ende des Meetings schäumt dein Kollege vor Wut. Und du fühlst dich miserabel, weil du überhaupt keine Anerkennung für deinen Vortrag bekommen hast.

Solche Interaktionen sind ein gefundenes Fressen für deinen inneren Kritiker.

Wenn dir diese Antreiber-Dynamik nicht bewusst ist, kann er den Besserwisser spielen und dir Dinge einreden wie:

  • „Hättest du mal bloß noch XY besser gemacht, dann wäre dein Team zufrieden gewesen.“
  • „Du hast dich vor deinen Kollegen Du solltest dich schämen.“
  • „Du hast mal wieder alles ruiniert.“

Deine täglichen Interaktionen mit anderen bieten deinem inneren Kritiker also jede Menge Angriffsfläche. Solange du seine Äußerungen für wahr hältst und nicht hinterfragst, verleiht im das noch mehr Macht über dich.

Dein innerer Kritiker: Von der Theorie zur Anwendung

Kannst du deinen inneren Kritiker nun etwas besser verstehen?

Dann geht es in einem nächsten Schritt darum, einen besseren Umgang mit diesem kritischen Teil von dir zu entwickeln. Ich habe dir dafür einige Reflexionsfragen zusammengestellt, mit denen du dein neu gewonnenes Wissen direkt anwenden kannst.

  • Erinnerst du dich an typische Sätze von deinen Eltern, die ins Schema deines inneren Kritikers passen? Welche Sorgen und Gefühle stecken hinter diesen Sätzen? Welche Botschaft senden sie eigentlich damit?
  • Was sind heute typische Sätze deines inneren Kritikers, mit denen er dir immer wieder das Leben schwermacht? Welche Sorge verbirgt sich dahinter? Vor welchen Gefühlen will er dich schützen?
  • In welchen Situationen und bei welchen Personen beschimpft dich dein innerer Kritiker besonders stark? Wie arbeitet er in diesen Situationen mit deinen inneren Antreibern zusammen, um noch mehr Macht zu erlangen?
  • In welchen Momenten bist du besonders anfällig für die Beleidigungen deines inneren Kritikers? Wann gelingt es dir dagegen schon gut, mit seiner Kritik umzugehen?

Wenn du wissen willst, wie du einen konstruktiven Umgang mit deinem inneren Kritiker entwickeln kannst, schau dir diesen Artikel an. Darin habe ich dir 9 Experten-Tipps aufbereitet, mit denen du den Unruhestifter endlich in den Griff bekommst.

Wie du am besten mit negativen Gefühlen umgehst, lernst du in diesem Artikel. Darin erfährst du auch, warum negative Gefühle eben nicht nur schlecht, sondern sogar sehr nützlich sein können.

Schreib mir in die Kommentare, welche Sätze du öfter mal von deinem inneren Kritiker hörst und in welchen Situationen du seine Attacken besonders zu spüren bekommst.

PS: Sharing is caring: Wenn dir der Artikel gefallen und geholfen hat, teile ihn jetzt mit deinen Liebsten und mit allen Menschen, denen das Wissen auch weiterhelfen kann. Dankeschön!